Saeculum
werden.
Er starrte angestrengt in die Dunkelheit. Im Lager war wieder Ruhe eingekehrt, obwohl Bastian nicht glaubte, dass die anderen schliefen.
»Die Ungewissheit ist das Schlimmste«, flüsterte er.
»Das stimmt.«
»Wenn jemand verletzt wäre, würden wir ihn schreien oder stöhnen hören, nicht?« Es tat gut, die eigenen Gedanken mit Paul zu teilen.
»Das meine ich auch.«
Wenn jemand tot wäre, würden wir hingegen nichts hören. So wie jetzt. Diesen Gedanken behielt er für sich.
»Hör mal, Paul, ich übernehme die nächste Wache, ich kriege ohnehin kein Auge mehr zu. Nathan soll ruhig weiterschlafen, ich fürchte, ich habe ihm gerade den Schreck seines Lebens verpasst.«
Er hörte, wie Paul sich aufrichtete. »Verstehe. Ist es okay für dich, wenn ich noch ein bisschen hierbleibe?«
»Bist du denn nicht müde?«
»Nein. Nur erschöpft. Ich muss erst mal aufhören, innerlich zu vibrieren, bevor ich schlafen kann.«
»Na dann. Klar.«
Wir wachen im Finstern, dachte Bastian. Viel Sinn hat das nicht, denn was sollen wir tun, wenn etwas passiert?
Er schloss die Augen, die vom angestrengten Starren ins Nichts schmerzten. Versuchte, umso schärfer zu hören. Das gleichmäßige Atmen der anderen mischte sich unter die Geräusche der Nacht. Bastian zog sich die Decke enger um die Schultern. Der Schrei von vorhin hatte sich nicht wiederholt und langsam ebbte die Angst ab, die er in ihm ausgelöst hatte.
»Glaubst du wirklich, es ist außer uns noch jemand hier?«
Paul antwortete nicht gleich. »Unmöglich ist es nicht. Gesehen habe ich niemanden, aber wer weiß.«
»Angenommen, Lisbeth hat recht und es schleicht wirklich jemand hier rum - dann ist er vielleicht der Grund für unsere Probleme.«
»Du meinst, er hat Warze und Lars verschwinden lassen? Allein?«
Das klang allerdings unwahrscheinlich. »Wo einer ist, können auch mehrere sein.«
»Schon wahr, aber wer sollte das sein? Und was sollte er hier wollen? Uns Angst einjagen? Wozu? Außerdem - niemand wusste, wohin wir fahren.«
Unvermittelt musste Bastian an Iris denken. Sie war so verstört gewesen von der letzten Botschaft - wurde sie selbst etwa verfolgt? Von dem, der ihr die Narbe an der Schulter zugefügt hatte?
»Bastian?«
»Ja?«
»Ich bin froh, dass wir uns mal ungestört unterhalten können. Ich finde, du bist wirklich in Ordnung, und möchte, dass du das weißt.«
»Äh … danke.« Der ernsthafte Ton, in dem Paul das gesagt hatte, irritierte Bastian etwas. »Beruht auf Gegenseitigkeit.«
»Das ist schön. Ich würde gerne … also, ich fände es toll, wenn wir uns noch besser kennenlernen könnten. Wenn das hier vorbei ist.«
Irgendwo tief in Bastian schrillte eine Alarmglocke. Etwas Ähnliches hatte er selbst schon mal gesagt, vor drei Monaten, als er Sandra begegnet war. Er unterdrückte den Impuls abzurücken. Schon auf dem Mittelaltermarkt hatte er sich über das große Interesse gewundert, das Paul ihm entgegenbrachte. Jetzt fühlte er sich klar überfordert.
»Ich kann mir gut vorstellen, dass wir Freunde werden.« Er redete zu schnell, wie immer, wenn er nervös war. »Obwohl ich mit Schwertschwingen nichts am Hut habe. Aber wer weiß, das kann ja noch werden.«
»Freunde. Klingt gut.« Man konnte das Grinsen in Pauls Stimme hören. »Wenn es nach mir geht - noch viel mehr als Freunde. Was meinst du, können wir uns morgen mal länger unterhalten?«
»Äh … meinetwegen«, brachte Bastian heraus und bereute es sofort. Er bezweifelte, dass er hören wollte, was Paul ihm zu sagen hatte.
»Sehr gut.«
Es raschelte, als Paul aufstand. »Ich denke, ich gehe jetzt schlafen. Vergiss nicht, Nathan zu wecken, wenn du zu müde wirst. Hoffentlich findest du ihn.«
Mit langsamen, tastenden Schritten schlich er davon und ließ einen sprachlosen Bastian zurück.
Mehr als Freunde. Bastian schüttelte den Kopf. Egal. Erst einmal mussten die Stunden bis zum Morgengrauen überstanden werden.
Etwas summte, wie eine der dicken Hummeln, die tagsüber torkelnd durch den Wald flogen. Taten sie das auch bei Nacht?
Egal. Er fror. Warum hatte er nicht gleich auch die zweite Decke mitgenommen? Er würde jetzt nicht noch einmal blind durchs Lager tappen.
Eine Eule schrie, dann hörte man Flügel schlagen. Irgendwo scharrte ein Tier, beharrlich und stumm. Bastian hob den Kopf und hielt Ausschau nach dem Mond, der sich die ganze Nacht nicht hatte blicken lassen. Immerhin waren Sterne da, einzelne funkelnde Punkte am Himmel, die ihm den
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