Saeculum
im Dunkeln mit einem Baum zusammengestoßen, als ich nachts mal … musste.«
Georg nahm sie in den Arm, ließ dabei Bastian aber nicht aus den Augen. In seinem Blick lag gleichzeitig etwas Bittendes und etwas Abweisendes.
»Vielleicht kannst du dir die Beule mal ansehen«, murmelte er. »Wir werden schnellstmöglich von hier verschwinden, Lisbeth muss zu einem Arzt.«
Vorsichtig betastete Bastian die Schwellung. »Ist dir übel, Lisbeth? Oder schwindlig?«
»Nein. Mir geht's so weit gut.«
»Dann brauchst du auch keinen Arzt. Ich denke nicht, dass es eine Gehirnerschütterung ist.«
Er wandte sich den Kratzern an den Armen zu. Bei jedem anderen als Georg hätte er im ersten Moment an einen Beziehungskrach mit Handgreiflichkeiten gedacht. Aber hier konnte er sich das einfach nicht vorstellen, obwohl - was wusste er schon von Georg? Wie Arno war er eins der eher etwas wortkargeren Mitglieder der Gruppe.
»Ihr solltet die Kratzer auswaschen und das Hämatom mit nassen Tüchern oder mit einem kalten Messer kühlen.«
Einen nächtlichen Streit hätte man auf jeden Fall gehört. Keine Frage.
»Dort drüben, bei den beiden Buchen, wächst Spitzwegerich. Wenn ihr ihn zerstampft, wirkt er desinfizierend. Tu etwas davon auf deine Kratzer, Lisbeth.«
Das hatte er von der Frau am Kräuterstand gelernt, vor einem Monat, beim Mittelaltermarkt. Sandra hatte neben ihm gestanden, lachend, und wilden Thymian zwischen ihren Händen zerrieben.
Bastian biss sich auf die Lippe. Jemand musste Lisbeth schonend beibringen, dass ihre Freundin fort war.
»Danke.« Sie rappelte sich hoch. »Es geht schon. War wirklich ungeschickt von mir.« Sie griff nach Georgs Arm, doch der blieb sitzen, sah immer noch Bastian an.
»Ich …«, begann er, doch Lisbeth schüttelte beinahe unmerklich den Kopf.
»Ich danke dir für deine Hilfe«, murmelte er, stand auf und folgte seiner Freundin zum Bach.
Bastian rieb sich seine brennenden Augen. Eine Welle von Müdigkeit überrollte ihn, dabei hatte der Tag noch nicht einmal richtig angefangen. Sandra. Wie konnte jemand so unauffällig verschwinden? In völliger Dunkelheit?
Oh, ganz einfach. Jemand überrascht sie im Schlaf. Greift nach ihr, zerrt sie hoch. Sie schreit. Er hält ihr den Mund zu, schlägt sie bewusstlos, schleppt sie fort. Ende.
Paul. Sie mussten Paul wecken. Er hatte die Convention organisiert, er kannte das Gelände am besten. Nur wäre es Bastian lieber gewesen, jemand anders hätte das mit dem Wecken erledigt.
Doch seine Sorge war verfrüht gewesen. Als er sich umdrehte, sah er, wie Iris mit Paul sprach, zum Wald hin gestikulierte und zwischendurch auf Sandras zurückgebliebene Sachen deutete. Steinchen kam dazu, ebenso Alma und Arno. Roderick, der den Ernst der Lage offensichtlich nicht begriff, tollte um sie herum und jagte seinen eigenen Schwanz.
»… kann einfach nicht sein. Wir waren doch alle hier. Schlafwandelt sie vielleicht?« Almas Stimme war heiser vor Aufregung. Bastian kam langsam näher, sah, wie Paul seinen Blick hob und wie seine Augen aufleuchteten. Er lächelte unsicher zurück.
Wie erwartet nahm Paul das Ruder in die Hand. »Wir wecken und informieren jetzt alle«, sagte er. »Dann teilen wir uns in Gruppen auf. Keiner geht mehr allein in den Wald, verstanden? Jeder hält Sichtkontakt.« Alle nickten, nur Carina wickelte eine rote Locke um ihren Finger und betrachtete sichtlich verträumt Pauls Brust unter dem weit aufgeknöpften Hemd.
»Wir müssen die drei finden. Hört ihr, Leute, nehmt das bitte ernst! Wir können nicht abhauen und sie hierlassen. Wenn wir vollständig sind, gehen wir sofort zurück zum Zelt und danach zum Erdrutsch, dort in der Gegend müssten eure Handys wieder Empfang haben. Dann werden wir Hilfe holen.«
Seine Zuversicht war ansteckend, sein Plan klang, als könnte nichts schiefgehen. Nur Doro schüttelte bekümmert den Kopf.
Iris lief los, um Lisbeth zu informieren, und Bastian übernahm die Aufgabe, Nathan zu wecken, der nach dem nächtlichen Aufruhr selig durchgeschlafen hatte und völlig verdattert war, dass er nicht mehr Wache schieben musste.
»Doro hat es gestern vorhergesagt«, stellte er mit großen Augen fest. »Manchmal denke ich, sie ist wirklich eine Hexe.«
»Sie ist bloß abergläubisch und das können wir im Moment gar nicht brauchen.« Bastian nahm Nathans Arm und zog ihn hoch. »Wir müssen logisch denken. Vernünftig. Paul ist dabei, einen Plan zu entwerfen.« Paul hat immer einen Plan, hörte er Lars
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