Saeculum
ins nächste Dorf zu finden. Das wäre ein großer Fehler.«
»Das tun sie nicht. Sie lassen uns nicht hängen.«
Der Wind frischte auf, ließ die Baumwipfel tanzen und trieb ein paar Blätter quer über die Lichtung.
»Das Schlimme ist«, sagte Doro plötzlich, »dass wir nichts haben, das wir ihm anbieten können.«
»Wie bitte? Wem denn?«
Doro seufzte wie jemand, der etwas zum zwanzigsten Mal erklären muss. »Dem, der uns hier festhält. Dem, der uns Sandra, Warze und Lars genommen hat. Tristram.«
Natürlich. Iris rang sich ein Lächeln ab. »Wenn an dem, was du sagst, etwas dran ist, dann … hat er doch schon drei von uns. Glaubst du nicht, damit ist es genug?«
Die dunklen Augen unter den buschigen Brauen schlossen sich, öffneten sich wieder. »Sie sind keine passenden Opfer. Tristram will seinen Bruder bluten sehen. Oder einen anderen Tyrannen. Das ist unser Problem.«
Unser wahres Problem ist das Wetter, dachte Iris nach einem besorgten Blick zum Himmel. Die schwarze Wolkenwand schob sich näher und näher, hatte die Sonne längst verdeckt. Ganz sicher war Arno nicht mehr in seiner Grube, ganz sicher war der Rettungstrupp schon auf dem Rückweg, würde jede Minute hier eintreffen. Wenn nicht …
Doro musste ihr die Gedanken vom Gesicht abgelesen haben. »Du spürst es, nicht wahr? Alles verschwört sich gegen uns. Doch ihr seid viel eher bereit, an Zufälle zu glauben, bevor ihr akzeptiert, dass ein Plan dahintersteckt. Ein Plan, der an der Schwelle zum Jenseits geboren wurde und nun aus dem Jenseits seine Wirkung entfaltet.«
Es hatte keinerlei Sinn, Doro von ihrer Theorie abbringen zu wollen, also nickte Iris geduldig zu jedem ihrer Worte, obwohl sie immer auf das Gleiche hinausliefen, und zwar: Alles verschwört sich gegen uns.
Etwa eine halbe Stunde später war Iris fast bereit, dem zuzustimmen.
Von den anderen war immer noch nichts zu sehen, doch nun bedeckten die Gewitterwolken den ganzen Himmel, fraßen das Licht und schickten erste schwere Tropfen zur Erde.
B lut verschleierte Arnos rechte Gesichtshälfte, und so schnell und gründlich Bastian es auch abzuwischen versuchte, es sickerte stetig nach. »Er stirbt, nicht wahr?« Almas verzerrtes Gesicht hoch über der Grube. Sie zitterte am ganzen Leib, obwohl Carina sie hielt und leise auf sie einredete. »Nein, auf keinen Fall. Es ist eine Platzwunde, die bluten eben stark. Wenn ich ein paar Mullbinden hätte oder etwas Ähnliches …« Und Wundkleber oder Nahtmaterial. Bastian hatte noch nie selbst eine Wunde genäht, aber schon einige Male assistiert.
Er sah sich nach etwas um, womit er einen leichten Druckverband würde anlegen können. »Nathan! Such mir bitte ein flaches Stück Holz, nicht zu groß.«
»Geht nicht. Paul braucht mich, um die Trage zu bauen.«
»Okay. Ralf?«
Keine Antwort.
»Ralf! Verdammt, hörst du mich nicht? Ich brauche ein Stück flaches Holz, ungefähr so groß wie deine Handfläche. Kannst du das suchen? Bitte?«
Leises Wimmern. »Alleine?«
Bastian biss die Zähne so fest aufeinander, dass sein Kiefer schmerzte. »Ja. Wenn Ihr die Güte haben wolltet, edler Alaric.«
»In Ordnung. Aber weit gehe ich nicht, da könnten noch mehr Fallen sein.«
»Jetzt mach schon!«
Schritte entfernten sich, so langsam, dass Bastian kurz versucht war, aus dem Erdloch zu klettern und Ralf in den Arsch zu treten.
Das Leinentuch, das er gegen Arnos Stirn presste, war bereits wieder durchtränkt, doch nun schien die Blutung allmählich schwächer zu werden. Bastian drückte die Kompresse trotz Arnos Stöhnen fester auf die Wunde und hoffte, dass dieser Eindruck nicht nur Wunschdenken war.
Aber selbst wenn ich seine Stirn versorgt habe, ist da immer noch das Bein. Ich habe noch nie einen Bruch geschient. Ich schaff das nicht, zur Hölle.
Von oben kam etwas geflogen und verfehlte nur knapp Bastians Kopf. Das Holzstück.
»Bist du bescheuert?« Er brüllte seine ganze Wut heraus. »Willst du, dass ich k. o. gehe?«
Ralf lugte über den Rand der Grube und sah aus, als würde er gleich losheulen. »T … t … tut mir leid. Aber … sieh mal.« Er hielt etwas in der Hand, ein Kreuz, rötlich-braun beschmiert.
Knochen. Bastian nahm sie ihm ab, bevor Roderick sich darauf stürzen konnte.
Sie waren kurz, dünn und mit einem blassen Wollfaden zusammengebunden. Möglicherweise Mittelhandknochen, Bastian war sich nicht sicher. Vielleicht stammten sie diesmal auch von einem Tier.
»Wo hast du das her?«
»Klemmte an
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