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Saeculum

Titel: Saeculum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poznanski Ursula
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Fluch!
    Sie quälten sich weiter, mussten nun alle paar Minuten stehen bleiben und pausieren. Selbst Paul schien die Kraft zu verlassen, er schonte sichtbar sein rechtes Bein, seine Nackenmuskeln traten hervor wie Taue. Dann kam die Lichtung in Sicht.
    Bastians Herz schlug viel zu schnell. Sein Blick flog über das Lager, über all ihre verstreuten Habseligkeiten. Den leeren Kessel, in dem sich der Regen sammelte, den achtlos hingeworfenen Spaten, die zerknüllten Decken. Gleich würde er Iris sehen, natürlich war sie da. Unversehrt, höchstens ein bisschen nass, falls sie sich zu spät untergestellt hatte.
    Doch die Lichtung war menschenleer. Es war, als wäre seine Schreckensfantasie Wahrheit geworden, nur die zerbrochene Harfe fehlte.
    Er hörte sich ihren Namen schreien, setzte mit einem Ruck die Bahre ab und rannte blindlings hinaus auf die patschnasse Wiese. »Iris!«
    Simon. Er war hier gewesen, hatte sie mitgenommen, sie in seine Gewalt gebracht, keiner hatte ihr geholfen. Bastian würde sie nie wiedersehen, nie wieder. Er stolperte über einen Felsbrocken, der tückisch im hohen Gras verborgen lag. Niemand war da, nicht mal Ralf, der feige kleine Drückeberger …
    »Hier!« Iris' Stimme.
    Bastian kam mühsam hoch, spähte durch den dichten Regenschleier, entdeckte endlich etwas Helles, das sich bewegte, winkte.
    Die kleine Gruppe kauerte am gegenüberliegenden Waldrand. Iris und Mona stützten Steinchen, der die Augen nur halb offen hatte und dessen Kopf immer wieder auf seine Brust sank. Eine Decke, die ausgebreitet in den Ästen hing, bildete ein notdürftiges Dach über den dreien. Doro, Lisbeth und Georg saßen nicht weit entfernt unter einem ähnlichen Verschlag. Ralf versuchte, sich neben sie zu quetschen, doch es gelang ihm nicht, es war einfach nicht genug Platz für vier.
    Gleißendes Licht. Donner brüllte. Aus den Wolken stürzte mehr Wasser, als Bastian es für möglich gehalten hatte.
    »Wie geht es Arno?«, rief Iris.
    »Schlecht. Kopfwunde und gebrochenes Bein, er müsste genäht und geröntgt werden, aber wir kriegen ihn nie im Leben hinunter bis zur Straße. Der Weg zurück zum Lager war schon die reinste Tortur.«
    Wenn er sich jetzt einfach hinsetzte, seinen Kopf an Iris' Schulter legte und die Augen schloss, würde er einschlafen. Trotz Nässe. Trotz Gewitter. Es gab nichts, was er lieber tun wollte. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so erschöpft gewesen zu sein.
    Durch das Prasseln des Regens drang Pauls Stimme, Arnos Name war herauszuhören, sonst verstand Bastian kein Wort. Dann dämmerte es ihm. Oh Gott, ja, er hatte die anderen mit der Bahre einfach stehen gelassen! Arno würde mittlerweile nass bis auf die Knochen sein.
    Die Oberschenkelknochen, die Mittelhandknochen, quäkte eine hysterische Stimme in ihm. Bastian schüttelte den Kopf, um sie loszuwerden, verabschiedete sich von der Vorstellung, an Iris Seite zu sinken und sich einer gnädigen Bewusstlosigkeit hinzugeben. Stattdessen schleppte er sich zurück auf die Wiese.
    »Wir brauchen einen Unterschlupf«, rief Paul ihm über den tosenden Regen hinweg zu. »Schnell! Hol die anderen, es gibt eine Höhle, in der ist für alle Platz. Da entlang.« Er deutete in Richtung der Gräber.
    Schnell war ein Ding der Unmöglichkeit. Sie zogen Steinchen gnadenlos mit sich, mühten sich, seine blasenübersäten Arme nicht zu berühren. Kleine Bäche braunen Wassers schlängelten sich durchs Gras, trugen Tannennadeln und ertrunkene Insekten mit sich. Hinter den Gräbern tauchten sie in den Wald ein.
    Kein Tänzchen heute, Doro? Die Frage lag Bastian auf der Zunge, eine derart gute Gelegenheit für einen kleinen Walzer mit den Elementen würde es so bald nicht mehr geben. Aber Doro lief neben Arnos Trage her und achtete darauf, dass er nicht seitlich herunterrutschte. Ach, und sieh da, Georg half auch mal, er strengte sich sogar an. Gemeinsam mit Paul trug er die Bahre - ohne jedoch dabei Lisbeth aus den Augen zu lassen. Klar.
    »Es ist nicht weit, wenn ich es recht in Erinnerung habe.« Woher nahm Paul nur diese Energie? Er wirkte richtiggehend aufgekratzt. Überdreht, das war es. Fünf Minuten Ruhe und er würde zusammenbrechen. »Bleibt bei mir, wir sind gleich im Trockenen.«
    Ohrenbetäubendes Krachen, als würde die Welt aufbersten. Alle fuhren zusammen, duckten sich. Nicht weit entfernt stürzte ein Baum mit lautem Knirschen um, prallte gegen den nächststehenden Artgenossen, rutschte an ihm abwärts. Ein Geruch wie von Schwefel

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