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Saeculum

Titel: Saeculum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poznanski Ursula
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einem Baum, zwischen Ast und Stamm. Oh bitte, ich will nach Hause! Es ist der Fluch, sieh doch nur, das ist wie in diesen Filmen. Sie finden Zeichen, sie verschwinden, einer nach dem anderen …« Ralf weinte. »Doro hat uns alles vorhergesagt. Wir hätten auf sie hören sollen, wir hätten -«
    »Jetzt beruhigst du dich, ja?« Gleich würden ihm die Dinge entgleiten, es war zu viel auf einmal. Aus einem seiner letzten Leinenstreifen faltete Bastian eine Kompresse, legte das Holzstück darauf und wickelte einen weiteren Stoffstreifen so um Arnos Kopf, dass alles fest saß. »Es gibt keinen Fluch, es ist -«
    »Hör auf, das immer zu sagen!«, schrie Ralf. »Jeder Idiot muss merken, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht. Alles, was Doro prophezeit hat, stimmt. Wann wirst du es kapieren? Wenn wir alle verschwunden oder verletzt sind? Oder müssen wir erst tot sein, damit du es glaubst?«
    »Ralf!« Pauls Stimme, voller Härte. »Schluss jetzt, sofort, oder ich werfe dich zu Arno in die Grube.«
    »Aber …« Ralf schluchzte. »Ich habe doch nur Angst, verstehst du das nicht? So viel Angst. Dauernd stelle ich mir vor, wir kommen ins Lager zurück und dort ist niemand mehr. Letzte Nacht habe ich geträumt, wir finden Warzes Leiche in einem der offenen Gräber.«
    Er würde nicht weiter zuhören, sondern sich auf Arnos Bein konzentrieren. Dennoch manifestierte sich in Bastians Kopf das Bild von Sandras verlassenem Schlafplatz und regte seine Fantasie an: ein menschenleeres Lager, in dessen Mitte Iris' zertrümmerte Harfe lag.
    Nicht daran denken. Es würde nichts passieren. Iris ging es gut. Trotzdem hallte Ralfs Bemerkung in seinem Kopf nach, immer und immer wieder. Er hätte ihm die Gurgel umdrehen können, doch Ralf war das falsche Ziel für seine Wut. Wenn Iris etwas zustieß, würde er zuallererst Georg fertigmachen, dem jeder Mensch völlig egal zu sein schien, solange er nicht Lisbeth hieß.
    Sie mussten sehen, dass sie zurückkamen. Bastian packte die beiden langen dicken Äste, die er als Schiene verwenden wollte, und hob Arnos Bein an. Arno brüllte.
    »Ich weiß, es tut weh - entschuldige.«
    Die Äste befanden sich an der richtigen Position. Bastian begann, sie mit seinen letzten zwei Leinenstreifen an Arnos Bein festzubinden.
    »Mehr kann ich nicht tun«, rief er den anderen zu. »Ihr müsst mir jetzt helfen, Arno aus dem Loch zu heben.«
    Paul war sofort zur Stelle, Nathan gleich hinter ihm. Mithilfe des Seils, das sie unter Arnos Achseln zu einer Schlinge verknotet hatten, zogen sie ihn hoch. Bastian gab sich alle Mühe, währenddessen das verletzte Bein zu stabilisieren, trotzdem schrie Arno sich die Seele aus dem Leib.
    Erst als er auf der improvisierten Bahre lag - einer nicht allzu vertrauenswürdig wirkenden Konstruktion aus dünnen Birkenstämmen, Seilen und einer Decke -, wurde er ruhiger.
    »Ich halte das nicht aus«, wimmerte Alma. »Wir wollten doch nur Hilfe holen. Jetzt wird sich keiner mehr auf den Weg machen, oder? Wir sitzen hier fest.«
    Carina legte ihr einen Arm um die Schultern und drückte sie. »Heute wird es nicht mehr klappen. Aber morgen sicher, du wirst sehen, notfalls laufe ich allein zurück.«
    »Dann ist es vielleicht schon zu spät.« Alma wischte sich die Nase mit dem Handrücken ab. »Ich wünschte, wir hätten auf Doro gehört.«

    Sie wechselten sich mit dem Tragen ab, trotzdem kamen sie nur erbärmlich langsam voran. Noch nie hatte Bastian sich einen Weg oder wenigstens einen Trampelpfad so sehnsüchtig her beigewünscht wie in dem Moment, als er Nathan am hinteren Teil der Bahre ablöste. Er konnte nicht sehen, wohin er seine Füße setzte, und die Haltestangen der Trage waren so dick, dass sie sich nur schlecht greifen ließen, und Arno schrie bei jeder Erschütterung auf.
    Am liebsten hätte Bastian schon nach fünf Minuten wieder gewechselt, doch er biss die Zähne zusammen, denn Paul hielt schon seit ihrem Aufbruch von der Fallgrube durch, obwohl er mit der vorderen Position den schwereren Teil übernommen hatte.
    Es ging leicht bergauf. Um sich vom unerträglichen Ziehen in seinen Armen abzulenken, rief Bastian sich die Stunde am See ins Gedächtnis zurück. Den Moment, in dem Iris erst seine Lippen mit ihren Fingern berührt und ihn dann geküsst hatte. Ihre hellgrünen Augen mit den langen dunklen Wimpern. Das Grübchen in ihrer rechten Wange, wenn sie lächelte - Es ging so schnell, dass Bastian erst reagierte, als es längst zu spät war. Seine Füße

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