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Saeculum

Titel: Saeculum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poznanski Ursula
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hing in der Luft.
    Keiner von uns, nein, keiner von uns, noch nicht, aber das war scheißknapp.
    »Es ist so weit«, wimmerte Doro. »Er holt uns.« Ihr Gesicht glänzte vor Nässe, das dunkle Haar klebte in tropfenden Strähnen an ihrem Kopf.
    Weiter. Eine kleine Steigung hinauf, eine schmale Mulde hinunter. Steinchen stolperte, sie versuchten ihn festzuhalten, doch sein Gewicht zog Iris, Mona und Bastian zu Boden.
    »Kann nicht mehr«, schluchzte Mona. »Ich bleibe hier.«
    »Nicht hinlegen, das ist gefährlich!« Iris' Stimme klang gepresst und abgehackt. »Bald sind wir da. Nicht mehr weit. Sagt Paul. Komm.«
    Ihre Knochen werden brechen und ihre Haut wird sich vom Fleisch lösen. Maden werden ihre Speisen befallen und Schwäche ihre Glieder. Bastian drängte die Erinnerung an die Sätze zurück, weigerte sich, die Parallelen zur Wirklichkeit anzuerkennen, denn das war Unsinn, abergläubischer Schwachsinn. Möglicherweise eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, in die Doro sie mit ihrer dauernden Schwarzmalerei getrieben hatte.
    Nässe bis auf die Haut. Jeder Schritt ein Schmatzen, als wolle der Boden sie alle einsaugen, ihre Füße nicht wieder freigeben. Steinchen, der wie ein mit Blei gefüllter Sack zwischen ihnen hing. Blitze und unmittelbar darauf dieses Krachen, das einen wünschen ließ, man hätte die Hände frei, um sich die Ohren zuzuhalten, oder noch besser, ein massives Haus. Trocken, warm, sicher.
    Vor Bastians Augen tanzten Punkte. Er konzentrierte sich auf seine Beine, die zusehends taub wurden, seine Hände waren längst nasskalte Klumpen, kaum fähig, etwas halten zu können. Zehn Schritte, okay?, verhandelte er mit sich selbst. Dann hinlegen. Ausruhen. Nichts mehr wissen.
    Erschöpfungsanzeichen, meldete sein lästiges, medizinisch geschultes Hirn. Koordination geht flöten, Bewegungen verlangsamen sich, Gleichgültigkeit schwappt heran wie warmes Wasser, auf dem man schwerelos treibt, bevor man ertrinkt.
    Er stolperte, landete mit dem Knie auf einem Stein und der Schmerz verschaffte ihm kurz Klarheit: Da vorne war Paul. Trabte immer noch zügig an der Spitze von Arnos Bahre, obwohl seine Handflächen mittlerweile rohes Fleisch sein mussten. Am hinteren Ende Georg. Hielt das Tempo gerade so. Atmete pfeifend.
    Ein Blitz, heller noch als seine Vorgänger. Ein Krachen, als bräche die Welt in zwei Teile. Monas Weinen. Lisbeth, die ihren Kopf in ein Tuch gehüllt hatte - sah sie überhaupt noch etwas? Ein Blick aus Iris' Augen, gleichzeitig verzweifelt und aufmunternd.
    »Seht ihr den riesigen Stein dort vorne?«, rief Paul. »Das ist die Höhle. Da müssen wir hin. Wir schaffen es.«
    Niemand hatte die Kraft für eine Reaktion.
    Nicht mehr weit, sagte sich Bastian und wiederholte die Worte in seinem Kopf. Jedes Wort ein Schritt. Nicht mehr weit. Nicht mehr weit.

 
    D ann waren sie endlich angekommen und sofort war klar, dass der Weg sich gelohnt hatte. Dieser Felsen war ein Wunder. Riesig groß, doch die Natur hatte ihn mithilfe seiner steinernen Brüder so schräg gestellt, dass eine kleine Hütte daruntergepasst hätte. Er war wie eine haushohe Welle, die erstarrt war, bevor sie brechen konnte. Unterhalb war der Waldboden staubtrocken.
    Sie ließen sich einfach fallen. Lagen flach auf der Erde, schwer atmend. Jemand weinte in kurzen, trockenen Schluchzern. Irgendwann fühlte Bastian eine Hand, die sich leicht auf seinen Rücken legte.
    »Hier waren wir heute Morgen schon einmal«, sagte Iris. »Bloß auf der anderen Seite. Zu dumm, wir hätten uns den Felsen genauer ansehen sollen.«
    »Ja, er ist großartig.« Bastian richtete sich auf. Sein Körper musste über Reserven verfügen, von denen er bisher nichts gewusst hatte, denn sein Atem ging fast wieder normal. Auch Paul saß bereits aufrecht und kontrollierte Arnos Verbände.
    Steinchen hingegen lag mit geschlossenen Augen da und zitterte am ganzen Körper, seine Zähne schlugen aufeinander, seine Lippen waren blau.
    Das wird so bleiben, nein, Irrtum, es wird schlimmer werden, denn wir haben keine Decke für ihn, nicht einmal ein Taschentuch, kein einziges trockenes Stückchen Stoff.
    »Feuer wäre gut«, murmelte Bastian.
    »Was sagst du?« Paul sah kurz hoch, während er Arno Wasser aus seinem Trinkschlauch einflößte. Alma war dazu nicht mehr fähig, sie lehnte mit kalkweißem Gesicht am Felsen. Ihre geschlossenen Augenlider flatterten; Roderick saß winselnd neben ihr und leckte ihre Hand.
    »Feuer«, wiederholte Bastian. »Um die

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