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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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benommen?
    STAWROGIN
    Ja. Am liebsten hätte ich mich umgebracht. Aber ich war zu feige. Also habe ich mein Leben auf die stumpfsinnigste Weise vertan, mit zynischen Dingen. Ich fand es eine gute, schön stupide Idee, eine verrückte und verkrüppelte Frau zu heiraten. Ich habe sogar zu einem Duell gefordert und dabei in die Luft geschossen, in der Hoffnung, einfach abgeknallt zu werden. Und dann habe ich mir die schwersten Bürden aufladen lassen, ohne daran zu glauben. Und all das vergebens, vergebens! Jetzt lebe ich zwischen zwei Träumen. In dem einen wachen die Menschen unschuldig auf und schlafen unschuldig wieder ein, auf glücklichen Inseln in einem leuchtenden Meer; in dem anderen schüttelt die schmächtige kleine Matrjoscha den Kopf und droht mir mit ihrem Fäustchen … Diesem kleinen Fäustchen … Ich möchte eine Tat ungeschehen machen und kann es nicht.
    (Er verbirgt seinen Kopf zwischen den Händen. Dann, nach einer Pause, richtet er sich wieder auf.)
    TICHON
    Wollen Sie diesen Bericht wirklich veröffentlichen?
    STAWROGIN
    Ja. Ja!
    TICHON
    Eine edle Absicht. Weiter kann keine Buße gehen. Es wäre eine bewundernswerte Tat, sich selber auf diese Weise zu bestrafen, wenn …
    STAWROGIN
    Wenn?
    TICHON
    Wenn es echte Buße wäre.
    STAWROGIN
    Wie meinen Sie das?
    TICHON
    Aus Ihrem Bericht spricht ein zu Tode verwundetes Herz. Darum wollten Sie auch geschlagen, verspottet und bespien werden. Aber zugleich hat Ihre Beichte auch etwas Anmaßendes und Hochmütiges.
    [Sinnlichkeit und Müßiggang haben sie gefühllos gemacht und liebesunfähig, und darauf scheinen Sie stolz zu sein. Sie sind stolz auf etwas Schändliches.]
    Das verdient Verachtung.
    STAWROGIN
    Ich danke Ihnen.
    TICHON
    Weshalb?
    STAWROGIN
    Weil Sie zwar wütend auf mich sind, aber keinen Ekel zu empfinden scheinen, und weil Sie mit mir sprechen wie von Gleich zu Gleich.
    TICHON
    Ich war angewidert, nur hat Ihr Hochmut dafür gesorgt, dass Sie es nicht sehen. Doch Ihr Wort «wie von Gleich zu Gleich» ist schön. Es beweist, dass Sie ein großes Herz haben und ungeheure Kraft. Aber diese riesige, ungenutzte Kraft in Ihnen, die sich nur in lauter Schändlichkeiten austobt, entsetzt mich. Sie haben alles verleugnet, Sie lieben nichts mehr, und jedem, der sich von seiner Heimat löst, von der Wahrheit eines Volks und einer Zeit, dem droht Strafe.
    STAWROGIN
    Ich fürchte weder Strafe noch sonst irgendetwas.
    TICHON
    Sie sollten die Strafe aber fürchten. Sonst ist es keine mehr, sondern ein Genuss. Hören Sie. Wenn jemand, ein Unbekannter, ein Mann, den Sie nie wiedersehen, diese Beichte lesen und Ihnen still verzeihen würde, ganz für sich, würde Ihnen das Frieden bringen?
    STAWROGIN
    Das würde es. (Leise) Wenn Sie mir verzeihen könnten, das wäre wunderbar. (Sieht ihn an, dann leidenschaftlich) Nein! Ich muss mir selber vergeben können! Das ist mein einziges Ziel. Erst dann wird die Halluzination verschwinden! Darum suche ich maßloses Leiden und versuche, es mir selber zuzufügen! Reden Sie nicht dagegen an, sonst sterbe ich vor Wut!
    TICHON (steht auf)
    Wenn Sie glauben, Sie könnten sich selber vergeben und würden diese Vergebung durch Leiden erlangen, wenn Sie nur noch nach dieser Vergebung streben, dann glauben Sie ganz und gar! Gott wird Ihnen Ihren schwachen Glauben vergeben, denn Sie verehren den Heiligen Geist, ohne ihn zu kennen!
    STAWROGIN
    Für mich gibt es keine Vergebung. In Ihren Büchern steht doch, es gebe kein größeres Verbrechen, als sich an einem dieser kleinen Kinder zu versündigen.
    TICHON
    Wenn Sie sich selber vergeben, wird Christus es auch tun.
    STAWROGIN
    Nein. Er nicht, er nicht. Für mich ist keine Vergebung möglich! Nie mehr, nie mehr …
    ( STAWROGIN nimmt seinen Hut und wankt wie ein Irrer zur Tür. Doch dann dreht er sich wieder zu TICHON um und spricht in weltmännischem Tonfall weiter, wenn auch erschöpft.)
    Ich komme wieder. Wir werden weiter über diese Dinge reden. Glauben Sie mir, ich war sehr glücklich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich danke für Ihre Geduld und Ihre Gefühle.
    TICHON
    Sie gehen schon? Ich hatte eine Bitte an Sie … aber ich fürchte …
    STAWROGIN
    Ja?
    (Er nimmt zerstreut ein kleines Kruzifix vom Tisch.)
    TICHON
    Veröffentlichen Sie diesen Bericht nicht.
    STAWROGIN
    Ich habe schon gesagt, nichts wird mich daran hindern können. Die ganze Welt soll ihn lesen!
    TICHON
    Ich verstehe. Aber ich schlage Ihnen ein noch größeres Opfer vor. Verzichten Sie auf diese

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