Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
Vom Netzwerk:
sogar ganz und gar gehabt. Zwar nur zwei- oder dreimal. Aber immerhin, ich habe sie gehabt.
    HELICON
    Ich versuche schon lange, mit dir zu sprechen.
    CALIGULA
    Es war im letzten Sommer. Nachdem ich sie so lange angeschaut und auf den Säulen des Gartens mit ihr geliebäugelt hatte, hat sie schließlich verstanden.
    HELICON
    Beenden wir dieses Spiel, Gajus. Wenn du mich nicht anhören willst, gehört es zu meiner Rolle, trotzdem zu sprechen. Pech, wenn du mich nicht hörst.
    CALIGULA (immer noch mit dem Lackieren seiner Fußnägel beschäftigt)
    Dieser Lack taugt nichts. Aber um auf Luna zurückzukommen: es war in einer schönen Augustnacht.
    ( HELICON wendet sich unwillig ab und schweigt unbewegt.)
    CALIGULA
    Sie hat sich etwas geziert. Ich lag schon im Bett. Zuerst stand sie ganz blutrot über dem Horizont. Dann begann sie, immer anmutiger, mit zunehmender Geschwindigkeit aufzusteigen. Je höher sie stieg, umso heller wurde sie. Sie wurde gleichsam ein milchweißer See inmitten dieser von Sternenknistern erfüllten Nacht. Dann ist sie, zart, leicht und nackt, in Hitze geraten. Sie ist über die Schwelle des Zimmers getreten und mit ihrer unaufhaltsamen Langsamkeit an mein Bett gekommen, ist hineingeglitten und hat mich mit ihrem Lächeln und ihrem Glanz überflutet. – Dieser Lackt taugt wirklich nichts. Aber siehst du, Helicon, ich kann, ohne zu prahlen, sagen, dass ich sie gehabt habe.
    HELICON
    Willst du mich jetzt anhören und erfahren, was dich bedroht?
    CALIGULA (hält inne und sieht ihn starr an)
    Ich will nur den Mond, Helicon. Ich weiß im Voraus, was mich töten wird. Ich habe noch nicht alles ausgeschöpft, was mich am Leben erhalten kann. Deshalb will ich den Mond. Und du wirst nicht eher wieder hier erscheinen, bis du ihn mir beschafft hast.
    HELICON
    Dann werde ich meine Pflicht tun und dir sagen, was ich zu sagen habe. Gegen dich wird ein Komplott geschmiedet. Cherea steht an der Spitze. Ich habe diese Schreibtafel abgefangen, aus der du das Wesentliche erfahren kannst. Ich lege sie hierhin.
    ( HELICON legt die Tafel auf einen der Sitze und zieht sich zurück.)
    CALIGULA
    Wohin gehst du, Helicon?
    HELICON (auf der Türschwelle)
    Ich hole dir den Mond.
    4 . Szene
    (Es klopft an der Tür gegenüber. CALIGULA dreht sich abrupt um und erblickt den ALTEN PATRIZIER .)
    DER ALTE PATRIZIER (zögernd)
    Gestattest du, Gajus?
    CALIGULA (ungeduldig)
    Komm schon herein.
    (Er sieht ihn an.)
    Nun, meine Süße, du möchtest wohl Venus wiedersehen!
    DER ALTE PATRIZIER
    Nein, darum geht es nicht. Pst! Oh, Verzeihung, Gajus … ich meine … Du weißt, wie sehr ich dich liebe … Ich wünsche mir nur, meine alten Tage in Ruhe zu verbringen …
    CALIGULA
    Zur Sache! Zur Sache!
    DER ALTE PATRIZIER
    Ja, gut. Nun … (Sehr schnell) Es ist sehr schlimm, das ist alles.
    CALIGULA
    Nein, es ist nicht schlimm.
    DER ALTE PATRIZIER
    Was denn, Gajus?
    CALIGULA
    Wovon sprechen wir eigentlich, Liebchen?
    DER ALTE PATRIZIER (blickt sich um)
    Und zwar …
    (Er windet sich und platzt schließlich heraus.)
    Ein Komplott gegen dich …
    CALIGULA
    Siehst du wohl, ich habe es ja gesagt, es ist überhaupt nicht schlimm.
    DER ALTE PATRIZIER
    Gajus, sie wollen dich umbringen.
    CALIGULA (geht zu ihm und fasst ihn bei den Schultern)
    Weißt du, warum ich dir nicht glauben kann?
    DER ALTE PATRIZIER (hebt die Hand zum Schwur)
    Bei allen Göttern, Gajus …
    CALIGULA (drängt ihn nach und nach zur Tür; sanft)
    Schwöre nicht, schwör ja nicht. Hör lieber zu. Wenn das, was du sagst, wahr wäre, müsste ich annehmen, dass du deine Freunde verrätst, nicht wahr?
    DER ALTE PATRIZIER (etwas hilflos)
    Es ist so, Gajus, dass meine Liebe zu dir …
    CALIGULA (im selben Ton)
    Und das möchte ich nicht annehmen. Ich habe Feigheit so sehr verabscheut, dass ich nie umhinkonnte, einen Verräter töten zu lassen. Ich weiß genau, was du wert bist. Und du willst doch bestimmt weder verraten noch sterben.
    DER ALTE PATRIZIER
    Bestimmt nicht, Gajus, bestimmt nicht!
    CALIGULA
    Du siehst also, dass ich recht hatte, dir nicht zu glauben. Du bist kein Feigling, nicht wahr?
    DER ALTE PATRIZIER
    O nein!
    CALIGULA
    Auch kein Verräter?
    DER ALTE PATRIZIER
    Selbstverständlich nicht, Gajus.
    CALIGULA
    Und folglich gibt es kein Komplott. Nicht wahr, das war nur ein Scherz?
    DER ALTE PATRIZIER
    Ein Scherz, bloß ein Scherz …
    CALIGULA
    Niemand will mich umbringen, das liegt doch auf der Hand?
    DER ALTE PATRIZIER
    Niemand, natürlich, niemand.
    CALIGULA

Weitere Kostenlose Bücher