Saemtliche Dramen
gelobe dir und schwöre feierlich auf alles, was ich auf Erden je geliebt: Überall, wo ich dir begegnen werde, werde ich das Knie zur Erde beugen, um die zu ehren, die an deinem Fuß gelitten hat!
(Sie gehen ab, zurück bleiben die Leiter und JULIA auf der Mauer.)
JULIA
Ich bleibe allein zurück, in Schmach und Verwirrung. Undankbarer, soll das sein, was du mir versprochen hast? Das soll deine grenzenlose Liebe sein? Endet meine Liebe nicht vielmehr an diesem Ort? Alles hast du ins Werk gesetzt, um mich deinem Begehren zu unterwerfen, Drohungen, Zwang, die Bitten eines Liebenden. Doch im Augenblick selbst, da du am Ziel warst, im Moment des Sieges bist du geflohen. Wer hätte je gewagt, als Sieger zu fliehen? Oh Gott, ich sterbe, hab Mitleid mit mir! Was brauche ich noch die Gifte der Natur, wenn die Verachtung groß genug ist, um zu töten! Die Verachtung bringt mich um in dieser Stunde, da ich in neuer Verzweiflung dem nachlaufe, der mich zurückweist. Welche Liebe hätte je ein solches Zwiegesicht gehabt? Als Eusebio mich unter Tränen anflehte, verschmähte ich ihn, doch jetzt, da er mich verschmäht, flehe ich ihn an … So sind wir Frauen, dass wir gegen unsere eigenen Bedürfnisse uns dem, der uns gefällt, verweigern. Niemand, der verlangt, für seine Liebe belohnt zu werden, liebt uns genug. Geliebt, verachten wir, verschmäht, lieben wir. Nein! Ich leide nicht, weil er mich nicht liebt, sondern leide, weil er mich zurückweist.
Hier ist er gestürzt, und hier werde ich mich selbst hinunterstürzen! … Doch was ist das? Eine Leiter? Oh schrecklicher Gedanke. Halt inne, Vorstellungskraft, stürze mich nicht ins Unglück! Ich brauche an das Verbrechen nur zu denken, schon habe ich es verübt. Aber was? Hat Eusebio nicht um meinetwillen die Klostermauern überwunden? War ich nicht stolz, dass er sich für mich derart in Gefahr gebracht? Warum also zögern, warum mich fürchten? Was ist das für eine Schwäche? … Um hier hinauszukommen, tue ich dasselbe wie er auf dem Weg hinein, und wenn er ist wie ich, wird er sich freuen, dass ich aus Liebe zu ihm so eine Gefahr auf mich nehme.
Ach, da habe ich es innerlich bereits begangen und bin schon schuldig geworden! Wenn die Sünde so groß ist, warum genügt es ihr nicht, mit ihrem Schatten den zu verbergen, der sich mit dem Traum vom Sündigen begnügt? Doch wenn ich eingewilligt habe, und Gott seine Hand schon von mir abgezogen hat, kann ich dann nicht wenigstens auf Vergebung eines so großen Fehltritts hoffen? Auf denn! Warum noch warten? (Sie steigt hinab.) Ich verletze das Gesetz der Welt und das der Ehre. Ich schmähe das Antlitz Gottes. Ein böser Engel, vom Himmel gestürzt, begebe ich mich blind in diese tiefe Nacht. Ich habe keine Hoffnung mehr zurückzukehren, und ich werde es nicht bereuen …
Schon bin ich weit vom Kloster entfernt … Die Stille ist schrecklich, die Schatten erfüllen mich mit Furcht. Ich bin von Nacht geblendet, ich strauchele in der Finsternis und suhle mich in meiner Sünde. Wohin mich wenden? Was tun? Ich weiß nicht, was ich will. In dieser von Ungeheuern prallen Stille steht mir das Haar zu Berge, und mein Blut erstarrt. Meine entgleiste Phantasie sieht ringsum Leiber schweben, und in der Stimme des Echos vernehme ich mein Urteil. Das Vergehen, das mich eben so großartig erscheinen ließ, erfüllt mich jetzt mit Schwäche. Meine Füße sind vom Entsetzen so gehemmt, dass ich sie kaum bewegen kann. Eine grässliche Last lähmt meine Schultern. Ich bin von Eis bedeckt. Nein, nein, ich will nicht weggehen! Ich will ins Kloster zurück, ich will für diese Sünde um Vergebung bitten! Gott! Ich glaube an deine Barmherzigkeit, du kannst mir so viele Sünden vergeben, wie Sterne am Himmel stehen, wie Körnchen im Sande sind und Atome in der Luft!
( RICARDO und CELIO treten auf.)
JULIA
Schritte … ich verstecke mich hier, bis sie wieder weg sind, und dann gehe ich unbemerkt zurück.
RICARDO
Eusebios Angstbilder haben uns die Leiter vergessen lassen. Wir müssen sie holen, bevor es hell wird.
(Sie gehen mit der Leiter ab.)
JULIA
Sie sind weg. Ich kann zurück … Was? Die Leiter ist nicht mehr da? … Sie muss dort drüben sein … Nein, ist sie nicht … Wie soll ich ohne sie hinaufkommen? … Oh Gott! Jetzt wird mir mein Unglück klar! Du verschließt mir den Eingang in dein Haus, zeigst mir, dass du meine Rückkehr nicht willst und ebenso wenig meine Reue. Wenn du also beschlossen hast, mir nie zu
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