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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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meinte, Rosmira, schöner als die Morgenröte, die mir in ihren Armen das Sonnenkind hinhält. Sie hielt Julia, den göttlichen Widerschein ihrer Schönheit und Unschuld. An jenem Abend war sie am Fuße dieses Kreuzes niedergekommen, und als strahlendes Zeichen für das Wunder, das Gott der Welt erwies, trug das Neugeborene auf seiner geweihten Brust ein aus Blut und Flammen geflochtenes brennendes Kreuz.
    Welche Freude hätte meine da übertreffen können! Doch ach, ein weiteres Unglück verdunkelte dieses herrliche Ereignis. In ihren Schmerzen hatte Rosmira gespürt, dass sie zwei Kinder zur Welt brachte, doch das zweite war im Gebirge geblieben und …
    ( OCTAVIO kommt dazu.)
    OCTAVIO
    Ein Trupp von Räubern zieht durchs Tal. Besser, wir gehen ihnen entgegen, Herr, solange man noch etwas sieht und es nicht zu dunkel ist. Sie kennen die Gegend, wir nicht.
    CURCIO
    Dann rufe unsere Männer zusammen und lass uns gehen. Bis die Stunde der Rache gekommen ist, gibt es für mich kein Glück.
    (Ein Kloster, von außen gesehen.
    EUSEBIO , CELIO und RICARDO treten auf.)
    RICARDO (zu CELIO )
    Kein Laut! Komm! Stelle die Leiter hier an.
    EUSEBIO
    Ich könnte in den Himmel klettern, bis zur Sonne hinauf: Die Liebe lehrt Kühnheit und spendet Kraft. Ich werde das Himmelsgewölbe übersteigen, ein Ikarus ohne Flügel, ein Phaeton der Nacht. Nehmt die Leiter weg, sobald ich auf der Mauer bin, und wartet auf mein Signal. Los! Wenn man zum Gipfel strebt, was tut es dann, wenn man fällt und beim Flug zu Asche verbrennt. Der Fall ändert nichts am Ruhm des Aufstiegs.
    RICARDO
    Worauf wartest du?
    CELIO
    Welche Furcht hemmt deinen unbezähmbaren Stolz?
    EUSEBIO
    Siehst du das brennende Feuer nicht, das mich bedroht?
    CELIO
    Das sind nur Gesichte, Hauptmann, von der Angst geboren.
    EUSEBIO
    Von welcher Angst?
    CELIO
    Also, dann steig hinauf!
    EUSEBIO
    Diese Strahlen blenden mich, aber ich werde durch die Flammen steigen! Selbst das Höllenfeuer soll mich nicht aufhalten.
    (Er steigt hinauf.)
    CELIO
    Jetzt ist er drinnen.
    RICARDO
    Das war eine Halluzination, ein Hirngespinst.
    CELIO
    Nimm die Leiter weg.
    RICARDO
    Wir müssen bis zum Morgen hier warten.
    CELIO
    Wie kühn, da einzudringen. Ich selbst wäre lieber zu meiner hübschen Dörflerin gegangen. Aber nun, diese Spiele müssen warten.
    (Sie gehen ab.)
     
    (Im Kloster. JULIA s Zelle. EUSEBIO kommt herein.)
    EUSEBIO
    Ich irre durch dieses Kloster. Niemand hat mich gesehen. Überall, wohin ich die Schritte lenkte, meinem Stern folgend, fand ich Zellen, deren schmale Türen die Nonnen offen gelassen hatten, aber in keiner fand ich Julia. Wohin gehe ich auf der Jagd nach immer wieder enttäuschten Hoffnungen? … Diese lastende, schreckliche Stille! Diese Grabesdunkelheit!
    Da, Licht! Eine Zelle … und da ist Julia! (Er zieht einen Vorhang beiseite und betrachtet sie.) Was ist, was zögere ich? Fehlt mir der Mut, sie anzusprechen? Ich weiß nicht mehr, was ich will noch erwarte. Oh furchtsamer Mut! Kühne Feigheit! Ich zaudere mitten im Schwung!
    Die Demut des Gewandes lässt sie noch vollkommener wirken. Demut ist bei einer Frau die reine Schönheit. Die Schönheit, die ich unter dieser Kutte schändlich begehre, hat die heftigste Wirkung auf mich. Meine Liebe entbrennt ebenso durch das Begehren ihres Körpers wie durch den Respekt, den ihr Kleid mir einflößt. Julia! Julia!
    JULIA
    Wer ruft da meinen Namen? Oh mein Gott! Wer bist du, der hier vor mir erscheint? Bist du der Schatten meiner Sehnsucht oder eine Ausgeburt meiner Gedanken?
    EUSEBIO
    Hast du so viel Angst vor mir?
    JULIA
    Ah! Wer wollte nicht weit vor dir fliehen …
    EUSEBIO
    Hör auf, Julia …
    JULIA
    Was willst du, Trugbild, Schatten, Widerschein meines Wahns … Spricht da die Stimme meiner Einbildung zu meinem Unglück und beschwört ein Gespenst herauf, eine Traumfigur, den Spuk einer kalten Nacht?
    EUSEBIO
    Julia, höre mich an … Julia … Ich bin’s, Eusebio, lebendig, zu deinen Füßen. Wäre ich nur Eusebios Gedanke, so hätte der dich nie verlassen.
    JULIA
    Ah! Deine Stimme ruft mich in die Wirklichkeit zurück und zurück zur Schande. Eusebio, was willst du hier, wo ich in Schmerzen lebe, in Tränen sterbe. Was willst du von mir? Was suchst du? Ich zittere vor Furcht … Was sind deine neuen Absichten? Wie bist du hierhergekommen?
    EUSEBIO
    Bis ich von deinem Eintritt ins Kloster hörte, litt ich ohne Unterlass, doch hörte ich nicht auf zu hoffen. Als ich aber hörte, dass deine Schönheit

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