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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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doch eine großartige Idee.
    DIEGO
    Eine Dummheit ist es! Zu lügen ist immer dumm.
    NADA
    Nein, es ist Politik. Und eine gute, finde ich, denn sie zielt darauf, alles zu beseitigen. Ah!, was für einen tüchtigen Gouverneur wir doch haben! Wenn sein Etat im Defizit ist, wenn seine Frau ihn betrügt, annulliert er das Defizit und leugnet die Begattung. Ihr Hahnreie, eure Frauen sind treu, ihr Lahmen, ihr könnt gehen, und ihr, ihr Blinden, seht: Die Stunde der Wahrheit ist da!
    DIEGO
    Prophezeie uns kein Unheil, du alte Eule! Die Stunde der Wahrheit, das ist die Stunde des Todesstoßes!
    NADA
    Ja, eben. Tod der Welt! Ach, wenn sie doch groß und ganz da vor mir stehen würde, wie ein Stier, der auf seinen Beinen schwankt, mit kleinen, hasserfüllten Augen und rosa Maul, das der Geifer überzieht wie ein schmutziges Spitzentuch! Oh! Was für ein Moment! Meine alte Hand würde, ohne zu zögern, sein Rückenmark mit einem einzigen Hieb durchtrennen, das schwere Tier würde wie vom Blitz gefällt zusammenbrechen und bis zum Ende der Zeiten durch unermessliche Räume stürzen!
    DIEGO
    Du verachtest zu vieles, Nada. Geh sparsam mit deiner Verachtung um, du wirst sie bald brauchen.
    NADA
    Ich brauche gar nichts. Ich habe genug Verachtung übrig bis zum Tod. Und nichts auf dieser Welt wird jemals über mir stehen, weder König noch Komet noch Moral!
    DIEGO
    Sei still! Nicht so überheblich. Deine Beliebtheit könnte leiden.
    NADA
    Ich stehe über allen Dingen, ich begehre nichts mehr.
    DIEGO
    Niemand steht über der Ehre.
    NADA
    Ehre, was ist das, mein Sohn?
    DIEGO
    Das, was mich aufrecht erhält.
    NADA
    Die Ehre ist eine frühere oder künftige Himmelserscheinung. Weg damit.
    DIEGO
    Wie du meinst, Nada, ich muss jetzt gehen. Sie wartet auf mich. Darum glaube ich auch nicht an das Unheil, das du ankündigst. Ich bin mit Glücklichsein beschäftigt. Das ist eine langwierige Arbeit, die Frieden in Stadt und Land erfordert.
    NADA
    Ich habe es dir gesagt, mein Sohn, wir sind fällig, und zwar jetzt. Hoffe auf nichts. Das Spiel beginnt. Ich habe selbst gerade noch Zeit, zum Markt zu laufen und endlich einen auf den Todesstoß zu trinken, der alle und alles treffen wird.
    (Alles Licht aus.)
    Ende des Prologs
    (Licht an. Allgemeine angeregte Stimmung. Die Bewegungen sind lebhafter, alles wird immer schneller. Musik. Die Ladenbesitzer machen ihre Fensterläden auf, indem sie die vorderen Teile des Bühnenbilds beiseiteschieben. Der Marktplatz tut sich auf. Der CHOR des Volks, angeführt von den Fischern, füllt ihn nach und nach.)
    DER CHOR
    Nichts passiert, nichts wird passieren. Die Morgenkühle, die Morgenkühle! Keine Katastrophe kommt, sondern der Sommer mit seinem Überfluss!
    (Ein Freudenruf.)
    Gerade erst ist der Frühling vorbei, doch schon wird die goldene Orange des Sommers über den Himmel geschleudert und steigt auf den Gipfel der Jahreszeit, sie zerplatzt über Spanien und zerläuft zu Honig, sämtliche Früchte aller Sommer der Welt kullern miteinander in die Auslagen unserer Märkte: klebrige Trauben, buttergelbe Melonen, blutvolle Feigen, flammende Aprikosen.
    (Ein Freudenruf.)
    Oh, Früchte! Hier in unseren Körben vollenden sie den langen, hastigen Lauf vom Land her, wo sie sich mit Wasser und Süße vollgesogen haben, über hitzeblauen Wiesen und inmitten tausend kühl aufsprudelnder, besonnter Quellen, die sich nach und nach zu einem Jungbrunnen vereinen, aus dem Wurzeln und Stämme trinken, er fließt bis ins Herz der Früchte und wird dort zu einer unerschöpflich honigsüßen Kraft, die sie reifen und immer schwerer werden lässt.
    Prall und immer praller, so prall, dass die Früchte am Ende tief im Wasser des Himmels fließen, durch das dichte Gras zu kullern beginnen, sich auf den Flüssen einschiffen, über sämtliche Straßen fahren, aus allen Himmelsrichtungen gesammelt herbeiströmen, vom frohen Lärm des Volkes und Sonnentrompeten begrüßt (kurzer Trompetenstoß) , und davon zeugen, dass die Erde süß ist und der fruchtbare Himmel getreulich mit Nahrung im Überfluss zur Stelle ist. (Allgemeines Freudengeschrei.)
    Nein, nichts wird passieren. Der Sommer ist gekommen, ein Füllhorn, keine Plage. Der Winter ist noch lange nicht da, das harte Brot kann warten bis morgen! Heute gibt es Doraden, Sardinen, Kaisergranat, Fisch, frischen Fisch aus stillen Meeren, Käse, Käse mit Rosmarin! Die Milch der Ziegen schäumt wie Waschlauge, und auf der Marmorplatte das Fleisch, tiefrot unter der Krone aus weißem

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