Saemtliche Dramen
dem Müßiggang zugetan, das sieht man. Ich kann Untätigkeit nur in der Kaserne und in Warteschlangen zulassen. Diese Müßigkeit ist gut, sie macht Herz und Beine leer. Eine sinnlose Müßigkeit. Beeilung! Stellt meinen Turm auf, das Überwachungssystem ist sonst nicht fertig. Umgebt die Stadt mit Dornenhecken. Jedem sein eigener Frühling, meiner hat Rosen aus Stacheldraht. Facht die Öfen an, sie sind unsere Freudenfeuer. Wachen! Zeichnet Sterne an die Häuser, mit denen ich mich zu beschäftigen gedenke. Und Sie, meine Liebe, fertigen unsere Listen an und lassen die Existenzbescheinigungen ausstellen. (Die PEST geht zur anderen Seite ab.)
DER FISCHER (der Anführer des Chors)
Existenzbescheinigungen? Wozu denn so was?
DIE SEKRETÄRIN
Wozu? Wie wollen Sie ohne Existenzbescheinigung leben?
DER FISCHER
Bis jetzt haben wir sehr gut ohne gelebt.
DIE SEKRETÄRIN
Weil ihr nicht richtig regiert wurdet. Anders als jetzt. Und das Grundprinzip unserer Regierung ist eben, dass man immer eine Bescheinigung braucht. Auf Brot und Frauen kann man verzichten, aber ohne eine ordentliche Bescheinigung, die irgendetwas regelt, geht es auf gar keinen Fall.
DER FISCHER
Seit drei Generationen wirft meine Familie die Netze aus und hat immer sehr gut gearbeitet, ohne alle Papiere, glauben Sie mir!
EINE STIMME
Wir sind Metzger, vom Vater auf den Sohn, und um unsere Hammel zu schlachten, brauchen wir keine Bescheinigung.
DIE SEKRETÄRIN
Seht ihr, die reine Anarchie! Wohlgemerkt, wir haben nichts gegen Schlachthäuser, im Gegenteil! Aber wir haben auch dort eine lückenlose Buchhaltung eingeführt. Darin liegt unsere Überlegenheit. Und was das Fangnetz angeht, ihr werdet schon noch merken, das wissen wir nach Kräften zu gebrauchen.
Herr Bürgermeister, haben Sie die Formulare?
DER BÜRGERMEISTER
Hier.
DIE SEKRETÄRIN
Wachen, würden Sie dem Herrn beim Vortreten helfen!
(Der FISCHER wird nach vorn geschoben.)
DER BÜRGERMEISTER (liest)
Name, Vorname, Beruf.
DIE SEKRETÄRIN
Überspringen Sie die Selbstverständlichkeiten. Der Herr füllt die Lücken dann selbst aus.
DER BÜRGERMEISTER
Curriculum Vitae.
DER FISCHER
Ich verstehe nicht.
DIE SEKRETÄRIN
Hier müssen Sie die wichtigen Ereignisse in Ihrem Leben angeben. Eine Art, Sie kennenzulernen.
DER FISCHER
Mein Leben gehört mir. Das ist privat, das geht niemanden was an.
DIE SEKRETÄRIN
Privat! Solche Wörter kennen wir nicht. Es geht natürlich um Ihr öffentliches Leben. Übrigens das einzig gestattete. Herr Bürgermeister, gehen Sie zu den Details über.
DER BÜRGERMEISTER
Verheiratet?
DER FISCHER
Seit 31 .
DER BÜRGERMEISTER
Gründe der Eheschließung?
DER FISCHER
Gründe? Das ist ja wohl die Höhe.
DIE SEKRETÄRIN
So ist es vorgeschrieben. Eine gute Art, öffentlich zu machen, was nicht mehr persönlich sein darf.
DER FISCHER
Ich habe geheiratet, weil man das als Mann so tut.
DER BÜRGERMEISTER
Geschieden?
DER FISCHER
Nein, verwitwet.
DER BÜRGERMEISTER
Wieder geheiratet?
DER FISCHER
Nein.
DIE SEKRETÄRIN
Warum nicht?
DER FISCHER (schreit)
Ich habe meine Frau geliebt!
DIE SEKRETÄRIN
Seltsam. Warum?
DER FISCHER
Muss man alles erklären?
DIE SEKRETÄRIN
In einer gut organisierten Gesellschaft natürlich ja!
DER BÜRGERMEISTER
Vorleben?
DER FISCHER
Was soll das jetzt wieder sein?
DIE SEKRETÄRIN
Sind Sie wegen Plünderung, Meineid, Vergewaltigung vorbestraft?
DER FISCHER
Niemals!
DIE SEKRETÄRIN
Ein anständiger Mann, das habe ich mir gedacht! Herr Bürgermeister, notieren Sie: Zu überwachen.
DER BÜRGERMEISTER
Staatsbürgerliche Einstellung?
DER FISCHER
Ich habe immer meinen Mitbürgern gedient und nie einen Armen ohne einen guten Fisch gehen lassen.
DIE SEKRETÄRIN
Eine unzulässige Antwort!
DER BÜRGERMEISTER
Ich kann Ihnen helfen! Die staatsbürgerliche Einstellung fällt in mein Ressort. Mein Guter, hier geht es darum, ob Sie wie andere die bestehende Ordnung achten, aus dem einfachen Grund, dass sie besteht?
DER FISCHER
Wenn sie gut und gerecht ist – ja.
DIE SEKRETÄRIN
Höchst verdächtig! Notieren Sie: Zweifelhafte staatsbürgerliche Einstellung. Jetzt die letzte Frage.
DER BÜRGERMEISTER (entziffert mühsam)
Existenzberechtigung?
DER FISCHER
Meine Mutter soll verflucht sein, wenn ich dieses Chinesisch verstehe!
DIE SEKRETÄRIN
Sie müssen die Gründe angeben, warum Sie am Leben sind.
DER FISCHER
Die Gründe? Was für Gründe sollen das sein?
DIE SEKRETÄRIN
Da sieht man’s!
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