Saemtliche Dramen

Herr Bürgermeister, notieren Sie: Der Unterzeichnende gibt zu, dass seine Existenz unbegründet ist. Das lässt uns mehr Freiheit, wenn es so weit ist. Und Sie, Unterzeichnender, müssen einsehen, dass wir Ihnen nur eine vorläufige Existenzbescheinigung mit beschränkter Dauer ausstellen können.
    DER FISCHER
    Vorläufig oder nicht, geben Sie sie mir endlich, ich werde zu Hause erwartet.
    DIE SEKRETÄRIN
    Gewiss doch! Zunächst brauchen wir von Ihnen ein Gesundheitsattest, das Sie nach ein paar wenigen Formalitäten im Obergeschoss erhalten, Abteilung laufende Vorgänge, Büro für Vorläufiges, Hilfsreferat.
    (Er geht ab. Unterdessen ist der Leichenkarren beim Friedhof angekommen und wird entladen. Aber NADA springt schreiend vom Karren.)
    NADA
    Ich sage euch doch, ich bin nicht tot! (Man will ihn wieder aufladen. Er entwischt und läuft ins Gebäude.) Was soll das denn! Wenn ich tot wäre, wüsste man das! Oh! Verzeihung!
    DIE SEKRETÄRIN
    Kein Problem. Treten Sie näher.
    NADA
    Die hatten mich aufgeladen. Aber ich hatte nur zu viel getrunken! Wegen der Beseitigung!
    DIE SEKRETÄRIN
    Was soll beseitigt werden?
    NADA
    Na, alles, Süße! Je mehr man beseitigt, desto besser läuft alles. Und wenn man alles beseitigt, herrscht das Paradies! Verliebte, nur zum Beispiel! Grässlich! Wenn welche vorbeikommen, die spucke ich an. Von hinten, versteht sich, manche sind nachtragend. Und Kinder, diese Drecksbrut! Und die dämlichen Blumen, und die Flüsse, die ihre Meinung nie ändern können! Bäh! Beseitigt es, beseitigt es!, das ist meine Philosophie! Gott leugnet die Welt, ich leugne Gott! Es lebe das Nichts, denn es ist das Einzige, das existiert!
    DIE SEKRETÄRIN
    Und wie soll man das alles beseitigen?
    NADA
    Trinken, trinken bis zum Tod, und alles verschwindet!
    DIE SEKRETÄRIN
    Untaugliche Methode! Unsere ist besser! Wie heißt du?
    NADA
    Nichts.
    DIE SEKRETÄRIN
    Wie bitte?
    NADA
    Nichts.
    DIE SEKRETÄRIN
    Ich frage, wie du heißt.
    NADA
    Das ist mein Name.
    DIE SEKRETÄRIN
    Hervorragend! Mit so einem Namen passt du perfekt zu uns. Komm auf diese Seite. Du wirst Beamter in unserem Reich. (Der FISCHER kommt herein.) Herr Bürgermeister, würden Sie unseren Freund Nichts einweisen. So lange werdet ihr, Wachen, unsere Abzeichen verkaufen. (Tritt auf DIEGO zu) Guten Tag. Möchten Sie ein Abzeichen kaufen?
    DIEGO
    Was für ein Abzeichen?
    DIE SEKRETÄRIN
    Das Abzeichen der Pest natürlich. (Pause.) Sie können übrigens ablehnen. Es ist nicht obligatorisch.
    DIEGO
    Dann lehne ich ab.
    DIE SEKRETÄRIN
    Sehr gut. (Geht zu VICTORIA ) Und Sie?
    VICTORIA
    Ich kenne Sie nicht.
    DIE SEKRETÄRIN
    Aha. Ich weise Sie nur darauf hin, dass alle, die sich weigern, dieses Abzeichen zu tragen, ein anderes tragen müssen.
    DIEGO
    Nämlich?
    DIE SEKRETÄRIN
    Das Abzeichen derer, die sich weigern, das Abzeichen zu tragen. Da sieht man auf den ersten Blick, wen man vor sich hat.
    DER FISCHER
    Entschuldigen Sie mal …
    DIE SEKRETÄRIN (wieder zu DIEGO und VICTORIA )
    Bis bald! (Zum FISCHER ) Was gibt es noch?
    DER FISCHER (immer wütender)
    Ich komme aus dem Obergeschoss, dort sagt man mir, ich muss erst hier meine Existenzbescheinigung abholen, ohne die bekomme ich kein Gesundheitsattest.
    DIE SEKRETÄRIN
    Klassisch!
    DER FISCHER
    Wie, klassisch?
    DIE SEKRETÄRIN
    Ja, es beweist, dass die Verwaltungsmaßnahmen in dieser Stadt allmählich greifen. Unserer Überzeugung nach seid ihr schuldig und verdient folglich, regiert zu werden. Allerdings müsst ihr euch selbst schuldig fühlen, und das wird erst geschehen, wenn ihr erschöpft seid. Also treiben wir euch zur Erschöpfung, ganz einfach. Wenn ihr restlos erschöpft seid, geht alles Übrige wie von selbst.
    DER FISCHER
    Kriege ich wenigstens diese verfluchte Existenzbescheinigung?
    DIE SEKRETÄRIN
    Im Prinzip nein, da Sie dafür zunächst ein Gesundheitsattest benötigen. Offenbar kommen wir so nicht weiter.
    DER FISCHER
    Und?
    DIE SEKRETÄRIN
    Es stünde in unserem Ermessen. Unser Ermessen ist jedoch begrenzt, wie jedes Ermessen. Wir gestehen Ihnen die Bescheinigung also zu, als außerordentliche Vergünstigung, aber sie wird nur eine Woche gültig sein. In einer Woche sehen wir dann weiter.
    DER FISCHER
    Was sehen wir dann?
    DIE SEKRETÄRIN
    Ob es Anlass gibt, sie zu verlängern.
    DER FISCHER
    Und wenn sie nicht verlängert wird?
    DIE SEKRETÄRIN
    Falls es keine Berechtigungsgarantie mehr für Ihre Existenz geben sollte, würde man wohl zu einer Löschung schreiten. Herr