Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
Vom Netzwerk:
verzieht sich das Pathetische, wenn ich komme. Das Pathetische ist verboten, ebenso wie ein paar andere Dummheiten wie das lächerliche Strampeln nach Glück, das dämliche Grinsen der Verliebten, die egoistische Betrachtung der Landschaft und die sträfliche Ironie. All das ersetze ich durch Organisation. Das wird euch anfangs etwas stören, aber ihr werdet schon begreifen, dass gute Organisation besser ist als schlechtes Pathos. Und als Illustration dieses schönen Gedankens trenne ich hiermit Männer und Frauen: Dies hat Gesetzeskraft.
    (Die WACHEN führen es aus.)
    Euer Affentheater hat lange genug gedauert. Jetzt wird hier Ernst gemacht.
    Ich nehme an, ihr habt schon verstanden. Von heute an müsst ihr lernen, ordnungsgemäß zu sterben. Bis jetzt seid ihr auf spanische Art gestorben, eher zufällig, nach Gutdünken sozusagen. Ihr seid gestorben, weil es nach der Hitze abkühlte, weil eure Maultiere bockten, weil die Pyrenäen bläulich vorm Himmel standen, weil der Guadalquivir im Frühling auf den Einsamen so verlockend wirkt oder weil es ungehobelte Dummköpfe gibt, die für Geld oder der Ehre wegen töten, dabei ist es so ungleich edler, aus Freude an der Logik zu töten. Ja, ihr seid schlecht gestorben. Ein Toter hier, ein Toter da, der im Bett, der in der Arena: lose Sitten. Doch zum Glück wird diese Unordnung jetzt behoben. Ein Tod für alle, und zwar in der schönen Reihenfolge einer Liste. Ihr bekommt euren Schein und sterbt nicht mehr nach Lust und Laune. Von heute an ist das Schicksal gebändigt, es hat ein Büro bezogen. Ihr erscheint in der Statistik und seid endlich zu etwas nutze. Denn ich vergaß, es euch zu sagen, ihr werdet sterben, so viel ist sicher, aber danach oder sogar davor werdet ihr eingeäschert: Das ist sauber und ein Teil des Plans. Spanien über alles!
    Sich einreihen, um ordnungsgemäß zu sterben, das ist also das Wichtigste! Um diesen Preis gewinnt ihr meinen Schutz. Doch hütet euch vor unvernünftigen Gedanken, vor heftigen Seelenregungen, wie ihr es nennt, vor diesen kleinen Hitzigkeiten, die zu großen Revolten führen. Ich schaffe diese selbstverliebten Spielchen ab und ersetze sie durch Logik. Ich hasse Unterschiede und Unvernunft. Ab heute seid ihr also vernünftig, das heißt, ihr bekommt euer Abzeichen. An den Leisten werdet ihr gezeichnet sein und an den Achseln für alle sichtbar den Stern der Pestbeule tragen, als Zeichen dafür, dass ihr fällig seid. Die anderen, diejenigen, die überzeugt sind, sie werde es nicht treffen, und sonntags vor der Arena Schlange stehen, die werden euch aus dem Weg gehen, denn ihr seid verdächtig. Aber das muss euch nicht verbittern: Es wird sie treffen. Sie stehen auf der Liste, und ich vergesse niemanden. Alle sind verdächtig, das ist ein guter Anfang.
    Übrigens kann man trotzdem sentimental sein, das schließt sich nicht aus. Ich liebe Vögel, die ersten Veilchen, die kühlen Lippen junger Frauen. Dann und wann ist das erfrischend, und eigentlich bin ich Idealist. Meine Seele … Aber genug davon, sonst werde ich weich. Fassen wir also zusammen. Ich bringe euch Stille, Ordnung und absolute Gerechtigkeit. Ich verlange keinen Dank dafür, denn was ich für euch tue, ist ganz selbstverständlich. Aber ich verlange eure aktive Mitarbeit. Meine Amtszeit hat begonnen.

Zweiter Teil
    (Ein Platz in Cádiz. Links das Eingangsgebäude des Friedhofs. Rechts ein Quai, in dessen Nähe das Haus des Richters.
    Der Vorhang hebt sich, Totengräber in Sträflingskleidung tragen Leichen zusammen. Aus den Kulissen ist das Quietschen des Leichenkarrens zu hören, der hereinkommt und in der Bühnenmitte hält. Die Sträflinge beladen ihn, und er fährt zum Friedhof. Als er davor hält, ertönt Marschmusik, und ein Flügel des Friedhofsgebäudes öffnet sich vor dem Publikum. Es wirkt wie ein überdachter Schulhof, in dem die SEKRETÄRIN thront. Unter ihr stehen Tische wie solche, an denen Lebensmittelkarten ausgegeben werden, hinter einem davon der BÜRGERMEISTER mit seinem weißen Schnurrbart, umgeben von Funktionären. Die Musik wird lauter. Von der anderen Seite treiben die WACHEN das Volk vor sich her und in das Friedhofsgebäude hinein, Männer und Frauen getrennt.
    Licht in der Bühnenmitte. Oben vom Palast aus dirigiert die PEST Arbeiter, von denen nichts zu sehen ist, nur um die Bühne herum ist ihre Geschäftigkeit zu ahnen.)
    DIE PEST
    Na los, Leute, Beeilung! In dieser Stadt geht alles ziemlich langsam, die Leute sind arbeitsscheu und eher

Weitere Kostenlose Bücher