Saemtliche Dramen
entwertet …
DIE PEST
Zurück an deine Arbeit, Säufer! Und ihr anderen, weiter!
DIE SEKRETÄRIN
Wo sollen wir anfangen?
DIE PEST
Beim Zufall. Das macht mehr Eindruck.
(Die SEKRETÄRIN streicht zwei Namen aus. Zwei dumpfe Schläge zeigen die Wirkung an. Zwei Männer fallen. Zurückweichen. Die Arbeitenden erstarren. Die WACHEN der PEST treten hastig vor, bringen wieder Kreuze an den Türen an, schließen die Fenster, schaffen Leichen durcheinander usw.)
DIEGO (von hinten, ruhig)
Es lebe der Tod, er macht uns keine Angst!
(Durcheinander. Die Männer gehen wieder an die Arbeit. Die WACHEN weichen zurück. Dieselbe Pantomime, jetzt in der Gegenrichtung. Der Wind bläst, während das Volk vorwärtsgeht, er legt sich, wenn die WACHEN zurückkehren.)
DIE PEST
Streichen Sie ihn!
DIE SEKRETÄRIN
Unmöglich!
DIE PEST
Warum?
DIE SEKRETÄRIN
Er hat keine Angst mehr!
DIE PEST
Ach, kommen Sie! Weiß er Bescheid?
DIE SEKRETÄRIN
Er hat einen Verdacht. (Sie streicht. Dumpfe Schläge. Zurückweichen. Dasselbe Spiel.)
NADA
Wunderbar! Sie sterben wie die Fliegen! Ah! Wenn doch die Erde in die Luft fliegen würde!
DIEGO (in aller Ruhe)
Helft denen, die fallen.
(Zurückweichen. Dieselbe Pantomime, umgekehrt.)
DIE PEST
Er geht zu weit!
DIE SEKRETÄRIN
Er geht weit, in der Tat.
DIE PEST
Warum sagen Sie das so wehmütig? Sie haben ihn hoffentlich nicht informiert?
DIE SEKRETÄRIN
Nein, er hat das offenbar allein herausgefunden. Er hat einfach eine Gabe!
DIE PEST
Er hat eine Gabe, ich habe Mittel zur Verfügung. Dann muss man es anders versuchen. Sie sind dran. (Die PEST geht.)
DER CHOR (alle nehmen sich die Knebel heraus)
Ah! (Allgemeines Aufatmen.) Die erste Erleichterung, die Schlinge lockert sich, der Himmel weitet sich und bringt mehr Luft. Man hört wieder das Plätschern der Quellen, die unter der schwarzen Sonne der Pest verdunstet waren. Der Sommer geht. Vorbei die Trauben vom Spalier, vorbei die Melonen, die grünen Bohnen und der Salat. Aber das Wasser der Hoffnung erweicht den harten Boden und verspricht uns die Zuflucht des Winters, geröstete Kastanien, den ersten Mais mit noch grünem Korn, seifig schmeckende Walnüsse und Milch vorm Feuer …
DIE FRAUEN
Wir sind unwissend. Aber wir sagen, dass diese Reichtümer nicht zu teuer bezahlt werden dürfen. An allen Orten der Welt und unter egal welchem Herrscher wird immer eine frische Frucht zur Hand sein, der Wein des Armen, das Feuer der Reben, an dem man wartet, dass alles vorübergeht …
(Aus einem Fenster am Haus des RICHTER s kommt die TOCHTER DES RICHTER s und läuft zu den Frauen, zwischen denen sie sich versteckt.)
DIE SEKRETÄRIN (zum Volk hinabsteigend)
Das sieht ja ganz aus wie eine Revolution, also wirklich! Dabei kann davon keine Rede sein, das wisst ihr sehr wohl. Außerdem geht die Revolution nicht mehr vom Volk aus, das wäre völlig unmodern. Revolutionen brauchen keine Aufständischen mehr. Die heutige Polizei übernimmt alles selbst, sogar wenn es darum geht, die Regierung zu stürzen. Alles in allem ist das auch besser so, oder? Die Leute können sich ausruhen, während ein paar geeignete Köpfe das Denken übernehmen und anstelle des Volkes entscheiden, wie viel Glück ihm zuträglich ist.
DER FISCHER
Jetzt erwürge ich diese giftige Muräne!
DIE SEKRETÄRIN
Ach, meine lieben Freunde, ist es nicht besser, alles so zu belassen, wie es ist? Wenn eine Ordnung erst mal etabliert ist, kommt es immer teurer, sie zu verändern. Und wenn diese Ordnung euch unerträglich vorkommt, könnte man vielleicht ein paar Erleichterungen einführen.
EINE FRAU
Was für Erleichterungen?
DIE SEKRETÄRIN
Ich weiß nicht! Aber gerade ihr Frauen solltet wissen, dass jeder Umsturz teuer und eine gütliche Regelung günstiger ist als ein ruinöser Sieg!
(Die Frauen nähern sich ihr. Ein paar Männer lösen sich aus der Gruppe um DIEGO .)
DIEGO
Hört nicht auf sie. Das ist ein abgekartetes Spiel.
DIE SEKRETÄRIN
Was soll hier abgekartet sein? Ich appelliere an die Vernunft, mehr nicht.
EIN MANN
Was für Erleichterungen haben Sie gemeint?
DIE SEKRETÄRIN
Darüber müsste man natürlich nachdenken. Aber man könnte zum Beispiel gemeinsam mit euch ein Komitee gründen, das nach dem Mehrheitsprinzip die vorzunehmenden Streichungen beschließt. Dieses Komitee hätte volle Verfügungsgewalt über dieses Büchlein, in dem die Streichungen vorgenommen werden. Wohlgemerkt, nur als Beispiel … (Sie wedelt mit dem Notizbuch am
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