Sämtliche Dramen
unbedeutenden Gegner. Und in der Tat, ich kann Euch wenig schaden: Ihr werdet dies alles wieder abschwören.
Lucio
. Ehe will ich mich hängen lassen; du irrst dich in mir, Pater. Doch genug hievon. Kannst du mir sagen, ob Claudio morgen sterben muß oder nicht?
Herzog
. Warum sollte er sterben, Herr?
Lucio
. Nun, weil er eine Flasche mit einem Trichter gefüllt. Ich wollte, der Herzog, von dem wir reden, wäre wieder da; dieser unvermögende Machthaber wird die Provinz durch Enthaltsamkeit entvölkern; nicht einmal die Sperlinge dürfen an seiner Dachtraufe bauen, weil sie verbuhlt sind. Der Herzog hätte gewiß, was im Dunkeln geschah, auch im Dunkeln gelassen; er hätte es nimmermehr ans Licht gebracht; ich wollte, er wäre wieder da! Wahrhaftig, dieser Claudio wird verdammt, weil er eine Schleife aufgeknüpft! Leb wohl, guter Pater! Ich bitte dich, schließ’ mich in dein Gebet! Der Herzog, sage ich dir, verschmäht auch Fleisch am Freitag nicht. Er ist jetzt über die Zeit hinaus, und doch sag’ ich dir, er würde eine Bettlerin schnäbeln, und röche sie nach Schwarzbrot und Knoblauch. Sag nur, ich hätte dir’s gesagt! Leb wohl! – Ab.
Herzog
.
Nichts rettet Macht und Größe vor dem Gift
Der Schmähsucht; auch die reinste Unschuld trifft
Verleumdung hinterrücks; ja selbst den Thron
Erreicht der tück’schen Lästerzunge Hohn. –
Doch wer kommt hier?
Escalus, der Schließer, die Kupplerin und Gerichtsdiener treten auf.
Escalus
. Fort, bringt sie ins Gefängnis! –
Kupplerin
. Liebster, gnädiger Herr, habt Mitleid mit mir; Euer Gnaden gilt für einen sanftmütigen Herrn – liebster, gnädiger Herr! –
Escalus
. Doppelt und dreifach gewarnt, und immer das nämliche Verbrechen! – das könnte die Gnade selbst in Wut bringen und zum Tyrannen machen.
Schliesser
. Eine Kupplerin, die es seit elf Jahren treibt, mit Euer Gnaden Vergunst! –
Kupplerin
. Gnädiger Herr, das hat ein gewisser Lucio mir eingerührt. Jungfer Käthchen Streckling war schwanger von ihm zu des Herzogs Zeit; er versprach ihr die Ehe; sein Kind ist fünfviertel Jahr alt auf nächsten Philippi und Jakobi; ich habe es selbst aufgefüttert, und seht nun, wie er mit mir umspringen will!
Escalus
. Dies ist ein Mensch von sehr schlechter Aufführung: ruft ihn vor uns! Fort mit ihr ins Gefängnis – kein Wort mehr weiter! –
Kupplerin und Gerichtsdiener ab.
Schließer, mein Bruder Angelo läßt sich nicht überreden; Claudio muß morgen sterben. Besorgt ihm geistlichen Zuspruch, und was er zu christlicher Erbauung bedarf. Wenn mein Bruder gleiches Mitleid wie ich empfände, so stände es nicht so um Claudio.
Schliesser
. Gnädiger Herr, dieser Pater ist bei ihm gewesen und hat ihm mit Rat beigestanden, dem Tode entgegen zu gehn.
Escalus
. Guten Abend, guter Pater!
Herzog
. Gnade und Segen über Euch! –
Escalus
. Von wannen seid Ihr?
Herzog
.
Nicht diesem Land gehör’ ich, wo mich Zufall
Für eine Zeit lang hält. Ich bin ein Bruder
Aus frommem Orden, über See gekommen
Mit wicht’gem Auftrag seiner Heiligkeit.
Escalus
. Was gibt’s Neues im Auslande?
Herzog
. Nichts; außer daß Rechtschaffenheit an einem so starken Fieber leidet, daß ihre Auflösung sie heilen muß. Nur dem Neuen wird nachgefragt, und es ist ebenso gefährlich geworden, in irgendeiner Lebensbahn alt zu werden, als es schon eine Tugend ist, in irgendeinem Unternehmen standhaft zu bleiben. Kaum ist noch so viel Vertrauen wirksam, um der Gesellschaft Sicherheit zu verbürgen; aber Bürgschaft so überlei, daß man allen Umgang verwünschen möchte. Um diese Rätsel dreht sich die ganze Weisheit der Welt; dies Neue ist alt genug, und dennoch das Neue des Tages. Ich bitt’ Euch, Herr, von welcher Gesinnung war Euer Herzog?
Escalus
. Von der, daß er vorzüglich dahin strebte, sich genau selbst kennen zu lernen.
Herzog
. Welchen Vergnügungen war er ergeben?
Escalus
. Mehr erfreut, andre froh zu sehn, als froh über irgend etwas, das ihn selbst vergnügt hätte; ein Herr, der in allen Dingen mäßig war. Doch überlassen wir ihn seinem Schicksal, mit einem Gebet für sein Wohlergehn, und vergönnt mir die Frage, wie Ihr Claudio vorbereitet fandet? Wie ich höre, habt Ihr ihm Euren Besuch gegönnt.
Herzog
. Er bekennt, sein Richter habe ihn nicht mit zu strengem Maß gemessen; vielmehr demütigt er sich mit großer Ergebung vor dem Ausspruch der Gerechtigkeit. Doch hatte er sich, der Eingebung seiner Schwachheit folgend, manche
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