Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sämtliche Werke

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
Vom Netzwerk:
acht! Dein heftiges Wesen verdirbt noch alles; du verrätst dich offenbar vor den Leuten. Wie neulich bei dem Vetter, wie du den Holzschnitt und die Beschreibung fandst und mit einem Schrei riefst: Graf Egmont! – Ich ward feuerrot.
    Klare .
    Hätt’ ich nicht schreien sollen? Es war die Schlacht bei Gravelingen, und ich finde oben im Bilde den Buchstaben C. und suche unten in der Beschreibung C. Steht da: „Graf Egmont, dem das Pferd unter dem Leibe totgeschossen wird.“ Mich überlief’s – und hernach musst’ ich lachen über den holzgeschnitzten Egmont, der so groß war als der Turm von Gravelingen gleich dabei und die englischen Schiffe an der Seite. – Wenn ich mich manchmal erinnere, wie ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt, und was ich mir als Mädchen für ein Bild vom Grafen Egmont machte, wenn sie von ihm erzählten, und von allen Grafen und Fürsten – und wie mir’s jetzt ist!
    ( Brackenburg kommt.)
    Klare .
    Wie steht’s?
    Brackenburg .
    Man weiß nichts Gewisses. In Flandern soll neuerdings ein Tumult entstanden sein; die Regentin soll besorgen, er möchte sich hieher verbreiten. Das Schloss ist stark besetzt, die Bürger sind zahlreich an den Toren, das Volk summt in den Gassen. – Ich will nur schnell zu meinem alten Vater. (Als wollt’ er gehen.)
    Klare .
    Sieht man Euch morgen? Ich will mich ein wenig anziehen. Der Vetter kommt, und ich sehe gar zu liederlich aus. Helft mir einen Augenblick, Mutter. – Nehmt das Buch mit, Brackenburg, und bringt mir wieder so eine Historie.
    Mutter .
    Lebt wohl.
    Brackenburg (seine Hand reichend) .
    Eure Hand!
    Klare (ihre Hand versagend) .
    Wenn Ihr wiederkommt.
    (Mutter und Tochter ab.)
    Brackenburg (allein) .
    Ich hatte mir vorgenommen, gerade wieder fortzugehn; und da sie es dafür aufnimmt und mich gehen lässt, möcht’ ich rasend werden. – Unglücklicher! Und dich rührt deines Vaterlandes Geschick nicht? Der wachsende Tumult nicht? – Und gleich ist dir Landsmann oder Spanier, und wer regiert, und wer recht hat? – War ich doch ein andrer Junge als Schulknabe! – Wenn da ein Exerzitium aufgegeben war: „Brutus’ Rede für die Freiheit, zur Übung der Redekunst“ – da war doch immer Fritz der Erste, und der Rektor sagte: Wenn’s nur ordentlicher wäre, nur nicht alles so übereinander gestolpert. – Damals kocht’ es und trieb! – Jetzt schlepp’ ich mich an den Augen des Mädchens so hin. Kann ich sie doch nicht lassen! Kann sie mich doch nicht lieben! – Ach – Nein – Sie – Sie kann mich nicht ganz verworfen haben – – Nicht ganz – und halb und nichts! – Ich duld’ es nicht länger! – – Sollte es wahr sein, was mir ein Freund neulich ins Ohr sagte? Dass sie nachts einen Mann heimlich zu sich einlässt, da sie mich züchtig, immer vor Abend aus dem Hause treibt. Nein, es ist nicht wahr, es ist eine Lüge, eine schändliche verleumderische Lüge! Klärchen ist so unschuldig, als ich unglücklich bin. – Sie hat mich verworfen, hat mich von ihrem Herzen gestoßen – – Und ich soll so fortleben? Ich duld’, ich duld’ es nicht. – – Schon wird mein Vaterland von innerm Zwiste heftiger bewegt, und ich sterbe unter dem Getümmel nur ab! Ich duld’ es nicht! – Wenn die Trompete klingt, ein Schuss fällt, mir fährt’s durch Mark und Bein! Ach, es reizt mich nicht! Es fordert mich nicht, auch mit einzugreifen, mit zu retten, zu wagen. – Elender, schimpflicher Zustand! Es ist besser, ich end’ auf einmal. Neulich stürzt’ ich mich ins Wasser, ich sank – aber die geängstete Natur war stärker; ich fühlte, dass ich schwimmen konnte, und rettete mich wider Willen. – – Könnt’ ich der Zeiten vergessen, da sie mich liebte, mich zu lieben schien! – Warum hat mir’s Mark und Bein durchdrungen, das Glück? Warum haben mir diese Hoffnungen allen Genuss des Lebens aufgezehrt, indem sie mir ein Paradies von weitem zeigten? – Und jener erste Kuss! Jener einzige! – Hier (die Hand auf den Tisch legend) , hier waren wir allein – sie war immer gut und freundlich gegen mich gewesen – da schien sie sich zu erweichen – sie sah mich an – alle Sinnen gingen mir um, und ich fühlte ihre Lippen auf den meinigen. – Und – und nun? – Stirb, Armer! Was zauderst du? (Er zieht ein Fläschchen aus der Tasche.) Ich will dich nicht umsonst aus meines Bruders Doktorkästchen gestohlen haben, heilsames Gift! Du sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese Todesschweiße auf einmal verschlingen

Weitere Kostenlose Bücher