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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Vorurteil mehr gegen dieses Buch, er findet es sogar hübsch und amüsant, und er verschmäht es nicht, demselben seine Sujets zu entlehnen. In dieser Weise malte er Judith, Rebekka am Brunnen, Abraham und Hagar, und so malte er auch Juda und Thamar, ein vortreffliches Gemälde, das wegen seiner lokalartigen Auffassung ein sehr passendes Altarbild wäre für die Pariser neue Kirche von Notre-Dame de Lorette, im Lorettenquartier.
    Horaz Vernet gilt bei der Menge für den größten Maler Frankreichs, und ich möchte dieser Ansicht nicht widersprechen. Jedenfalls ist er der nationalste der französischen Maler, und er überragt sie alle durch das fruchtbare Können, durch die dämonische Überschwenglichkeit, durch die ewig blühende Selbstverjüngung seiner Schöpferkraft. Das Malen ist ihm angeboren wie dem Seidenwurm das Spinnen, wie dem Vogel das Singen, und seine Werke erscheinen wie Ergebnisse der Notwendigkeit. Kein Stil, aber Natur. Fruchtbarkeit, die ans Lächerliche grenzt. Eine Karikatur hat den Horaz Vernet dargestellt, wie er auf einem hohen Rosse, mit einem Pinsel in der Hand, vor einer ungeheuer lang ausgespannten Leinwand hinreitet und im Galopp malt; sobald er ans Ende der Leinwand anlangt, ist auch das Gemälde fertig. Welche Menge von kolossalen Schlachtstücken hat er in der jüngsten Zeit für Versailles geliefert! In der Tat, mit Ausnahme von Österreich und Preußen, besitzt wohl kein deutscher Fürst so viele Soldaten, wie deren Horaz Vernet schon gemalt hat! Wenn die fromme Sage wahr ist, daß am Tage der Auferstehung jeden Menschen auch seine Werke nach der Stätte des Gerichtes begleiten, so wird gewiß Horaz Vernet am Jüngsten Tage in Begleitung von einigen hunderttausend Mann Fußvolk und Kavallerie im Tale Josaphat anlangen. Wie furchtbar auch die Richter sein mögen, die dorten sitzen werden, um die Lebenden und Toten zu richten, so glaube ich doch nicht, daß sie den Horaz Vernet ob der Ungebührlichkeit, womit er Juda und Thamar behandelte, zum ewigen Feuer verdammen werden. Ich glaube es nicht. Denn erstens, das Gemälde ist so vortrefflich gemalt, daß man schon deshalb den Beklagten freisprechen müßte. Zweitens ist der Horaz Vernet ein Genie, und dem Genie sind Dinge erlaubt, die den gewöhnlichen Sündern verboten sind. Und endlich, wer an der Spitze von einigen hunderttausend Soldaten anmarschiert kömmt, dem wird ebenfalls viel verziehen, selbst wenn er zufälligerweise kein Genie wäre.
LX
    Paris, 1. Juni 1843
    Der Kampf gegen die Universität, der von klerikaler Seite noch immer fortgesetzt wird, sowie auch die entschiedene Gegenwehr, wobei sich besonders Michelet und Quinet hervortaten, beschäftigt noch immer das große Publikum. Vielleicht wird dieses Interesse bald wieder verdrängt von irgendeiner neuen Tagesfrage; aber der Zwist selbst wird so bald nicht geschlichtet sein, denn er wurzelt in einem Zwiespalt, der Jahrhunderte alt ist und vielleicht als der letzte Grund aller Umwälzungen im französischen Staatsleben betrachtet werden dürfte. Es handelt sich hier weder um Jesuiten noch um Freiheit des Unterrichts; beides sind nur Losungsworte, sie sind keineswegs der Ausdruck dessen, was die kriegführenden Parteien denken und wollen. Etwas ganz anderes, als man zu gestehen wagt, wo nicht gar das Gegenteil der innern Überzeugung, wird auf beiden Seiten ausgesprochen. Man schlägt manchmal auf den Sack und meint den Esel, heißt das altdeutsche Sprichwort. Wir hegen eine zu gute Meinung von dem Verstande der Universitätsprofessoren, als daß wir annehmen dürften, sie polemisierten im vollsten Ernste gegen den toten Ritter Ignaz von Loyola und seine Grabesgenossen. Wir schenken hingegen dem Liberalismus der Gegner zuwenig Glauben, als daß wir ihre radikalen Grundsätze in betreff der Lehrfreiheit, ihre eifrige Anpreisung der Freiheit des Unterrichts, für bare Münze nehmen möchten. Das öffentliche Feldgeschrei ist hier im Widerspruch mit dem geheimen Gedanken. Gelehrte List und fromme Lüge. Die wahre Bedeutung dieser Zwiste ist nichts anderes als die uralte Opposition zwischen Philosophie und Religion, zwischen Vernunfterkenntnis und Offenbarungsglauben, eine Opposition, die, von den Männern der Wissenschaft geleitet, sowohl im Adel wie in der Bürgerschaft beständig gärte und in den neunziger Jahren den Sieg erfocht. Ja bei einigen überlebenden Akteurs der französischen Staatstragödie, bei Politikern von tiefster Erinnerung, erlauschte ich nicht selten das

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