Sämtliche Werke
Bekenntnis, daß die ganze französische Revolution zuletzt doch nur durch den Haß gegen die Kirche entstanden sei und daß man den Thron zertrümmerte, weil er den Altar schützte. Die konstitutionelle Monarchie hätte sich, ihrer Meinung nach, schon unter Ludwig XVI. festsetzen können; aber man fürchtete, daß der strenggläubige König der neuen Verfassung nicht treu bleiben könne aus frommen Gewissensskrupeln, man fürchtete, daß ihm seine religiösen Überzeugungen höher gelten würden als seine irdischen Interessen – und Ludwig XVI. ward das Opfer dieser Furcht, dieses Argwohns, dieses Verdachtes! Il était suspect; das war in jener Schreckenszeit ein Verbrechen, worauf die Todesstrafe stand.
Obgleich Napoleon die Kirche in Frankreich wiederherstellte und begünstigte, so galt doch sein eiserner Willenstolz für eine hinlängliche Bürgschaft, daß die Geistlichkeit unter seiner Regierung sich nicht allzusehr überheben oder gar zur Herrschaft emporschwingen würde: er hielt sie ebensosehr im Zaum wie uns andre, und seine Grenadiere, welche mit blankem Gewehr neben der Prozession einhermarschierten, schienen weniger die Ehrengarde als vielmehr die Gefangenschaftseskorte der Religion zu sein. Der gewaltige Imperator wollte allein regieren, wollte auch mit dem Himmel seine Gewalt nicht teilen, das wüßte jeder. Im Beginn der Restauration wurden schon die Gesichter länger, und die Männer der Wissenschaft fühlten wieder ein geheimes Grauen. Aber Ludwig XVIII. war ein Mann ohne religiöses Bewußtsein, ein Witzling, der sehr dick war, schlechte lateinische Verse machte und gute Leberpasteten aß; das beruhigte das Publikum. Man wußte, daß er Krone und Haupt nicht gefährden werde, um den Himmel zu gewinnen, und je weniger man ihn als Mensch achtete, desto größeres Vertrauen flößte er ein als König von Frankreich: seine Frivolität war eine Garantie, diese schützte ihn selbst vor dem Verdacht, den schwarzen Erbfeind zu begünstigen, und wäre er am Leben geblieben, so hätten die Franzosen keine neue Revolution gemacht. Diese machten sie unter der Regierung Karls X., eines Königs, der persönlich die höchste Achtung verdiente und von dem man im voraus überzeugt war, daß er, dem Heile seiner Seele alle Erdengüter opfernd, mit ritterlichem Mute bis zum letzten Atemzuge für die Kirche kämpfen werde, gegen Satan und die revolutionären Heiden. Man stürzte ihn vom Thron, eben weil man ihn für einen edlen, gewissenhaften, ehrlichen Mann hielt. Ja, er war es, ebenso wie Ludwig XVI., aber 1830 wäre der bloße Verdacht ebenfalls hinreichend gewesen, um Karl X. dem Untergang zu widmen. Dieser Verdacht ist auch der wahre Grund, weshalb sein Enkel in Frankreich keine Zukunft hat: man weiß, daß ihn die Geistlichkeit erzogen, und das Volk nannte ihn immer »le petit jésuite«.
Es war ein wahres Glück für die Juliusdynastie, daß sie durch Zufall und Zeitumstände diesem tödlichen Verdachte entgangen ist. Der Vater Ludwig Philipps war wenigstens kein Frömmler; das gestehen selbst seine ärgsten Verleumder. Er gestattete dem Sohne die freie Ausbildung seines Geistes, und dieser hat mit der Ammenmilch die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts eingesogen. Auch lautet der Refrain aller legitimistischen Klagen, daß der jetzige König nicht gottesfürchtig genug sei, daß er immer ein liberaler Freigeist gewesen und daß er sogar seine Kinder in Unglauben heranwachsen lasse. In der Tat, seine Söhne sind ganz die Söhne des neuen Frankreichs, in dessen öffentlichen Kollegien sie ihren Unterricht genossen. Der verstorbene Herzog von Orleans war der Stolz der jungen Generation, die mit ihm in die Schule gegangen und wahrhaftig viel gelernt hatte. Der Umstand, daß die Mutter des Kronprinzen von Frankreich eine Protestantin, ist von unabsehbarer Wichtigkeit. Der Verdacht der Bigotterie, der der ältern Dynastie so fatal geworden, wird die Orleans nicht treffen.
Der Kampf gegen die Kirche wird nichtsdestoweniger seine große politische Bedeutung behalten. Wie gewaltig auch die Macht des Klerus in der letzten Zeit emporblühte, wie bedeutend auch seine Stellung in der Gesellschaft, wie sehr er auch gedeiht, so sind doch die Gegner immer gerüstet, ihm die Stirne zu bieten, und wenn bei nächtlichem Überfall der Liberalismus sein »Bursche heraus!« ruft, kommen gleich an allen Fenstern die Lichter zum Vorschein, und jung und alt rennt heran mit allen möglichen Schlägern, wo nicht gar mit den
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