Sämtliche Werke
Piken des Jakobinismus. Der Klerus will, wie er es immer wollte, in Frankreich zur Oberherrschaft gelangen, und wir sind unparteiisch genug, um seine geheimen und öffentlichen Bestrebungen nicht den kleinen Trieben des Ehrgeizes, sondern den uneigennützigsten Besorgnissen für das Seelenheil des Volkes zuzuschreiben. Die Erziehung der Jugend ist ein Mittel, wodurch der heilige Zweck am klügsten befördert wird, auch ist auf diesem Wege schon das Unglaublichste geschehen, und der Klerus mußte notwendigerweise mit den Befugnissen der Universität in Kollision geraten. Um die Oberaufsicht des vom Staat organisierten liberalen Unterrichts zu vernichten, suchte man die revolutionären Antipathien gegen Privilegien jeder Art ins Interesse zu ziehen, und die Männer, welche, gelangten sie zur Herrschaft, nicht einmal die Freiheit des Denkens erlauben würden, schwärmen jetzt mit begeisterten Phrasen für Lehrfreiheit und klagen über Geistesmonopol. Der Kampf mit der Universität war also kein zufälliges Scharmützel und mußte früh oder spät ausbrechen; der Widerstand war ebenfalls ein Akt der Notwendigkeit, und obgleich wider Willen und Lust, mußte dennoch die Universität den Fehdehandschuh aufnehmen. Aber selbst den Gemäßigtsten stieg bald das kochende Blut der Leidenschaft zu Häupten, und es war Michelet, der weiche, mondscheinsanfte Michelet, welcher plötzlich wild wurde und im öffentlichen Auditorium des Collège de France die Worte ausrief: »Um euch fortzujagen, haben wir eine Dynastie gestürzt, und ist es nötig, so werden wir noch sechs Dynastien umstürzen, um euch fortzujagen!« – Daß eben Menschen wie Michelet und sein wahlverwandter Freund Edgar Quinet als die heftigsten Kämpen aufgetreten gegen die Klerisei, ist eine merkwürdige Erscheinung, die ich mir nie träumen ließ, als ich zuerst die Schriften dieser Männer las, Schriften, die auf jeder Seite Zeugnis geben von tiefster Sympathie für das Christentum. Ich erinnere mich einer rührenden Stelle der »Französischen Geschichte« von Michelet, wo der Verfasser von der Liebesangst spricht, die ihn ergreife, wenn er den Verfall der Kirche zu besprechen habe: es sei ihm dann zumute wie damals, als er seine alte Mutter pflegte, die auf ihrem Krankenbette sich durchgelegen hatte, so daß er nur mit aller ersinnlichen Schonung ihren wunden Leib zu berühren wagte. Es zeugt gewiß nicht von jener Klugheit, die man sonst als Jesuitismus bezeichnet hat, daß man Leute wie Michelet und Quinet zum zornigsten Widerstand aufstachelte. Der Ernst möchte uns schier verlassen, indem wir diesen Mißgriff hervorheben, zumal in bezug auf Michelet. Dieser Michelet ist ein geborner Spiritualist, niemand hegt einen tiefern Abscheu vor der Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts, vor dem Materialismus, vor der Frivolität, vor jenen Voltairianern, deren Name noch immer Legion ist und mit denen er sich jetzt dennoch verbündete. Er hat sogar zur Logik seine Zuflucht nehmen müssen! Hartes Schicksal für einen Mann, der sich nur in den Fabelwäldern der Romantik heimisch fühlt, der sich am liebsten auf mystisch blauen Gefühlswogen schaukelt und sich ungern mit Gedanken abgibt, die nicht symbolisch vermummt! Über seine Sucht der Symbolik, über sein beständiges Hinweisen auf das Symbolische habe ich im Quartier latin zuweilen sehr anmutig scherzen hören, und Michelet heißt dort Monsieur Symbole. Die Vorherrschaft der Phantasie und des Gemütes übt aber einen gewaltigen Reiz auf die studierende Jugend, und ich habe mehrmals vergebens versucht, beim Monsieur Symbole im Collège de France zu hospitieren; ich fand den Hörsaal immer überfüllt von Studenten, die mit Begeisterung sich um den Gefeierten drängten. Seine Wahrheitsliebe und strenge Redlichkeit ist vielleicht ebenfalls der Grund, warum man ihn so ehrt und liebt. Als Schriftsteller behauptet Michelet den ersten Rang. Seine Sprache ist die holdseligste, die man sich denken kann, und alle Edelsteine der Poesie glänzen in seiner Darstellung. Soll ich einen Tadel aussprechen, so möchte ich zunächst den Mangel an Dialektik und Ordnung bedauern: wir begegnen hier einer bis zur Fratze gesteigerten Abenteuerlichkeit, einem berauschten Übermaß, wo das Erhabene überschlägt ins Skurrile und das Sinnige ins Läppische. Ist er ein großer Historiker? Verdient er neben Thiers, Mignet, Guizot und Thierry, diesen ewigen Sternen, genannt zu werden? Ja, er verdient es, obgleich er die Geschichte in einer
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