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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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können daher nimmermehr als reine Muster jener Dichtungsart, die wir Roman nennen, betrachtet werden. Den Spaniern gebührt der Ruhm, den besten Roman hervorgebracht zu haben, wie man den Engländern den Ruhm zusprechen muß, daß sie im Drama das Höchste geleistet.
    Und den Deutschen, welche Palme bleibt ihnen übrig? Nun, wir sind die besten Liederdichter dieser Erde. Kein Volk besitzt so schöne Lieder wie die Deutschen. Jetzt haben die Völker allzu viele politische Geschäfte; wenn aber diese einmal abgetan sind, wollen wir Deutsche, Briten, Spanier, Franzosen, Italiener, wir wollen alle hinausgehen in den grünen Wald und singen, und die Nachtigall soll Schiedsrichterin sein. Ich bin überzeugt, bei diesem Wettgesange wird das Lied von Wolfgang Goethe den Preis gewinnen.
    Cervantes, Shakespeare und Goethe bilden das Dichtertriumvirat, das in den drei Gattungen poetischer Darstellung, im Epischen, Dramatischen und Lyrischen, das Höchste hervorgebracht. Vielleicht ist der Schreiber dieser Blätter besonders befugt, unsern großen Landsmann als den vollendetsten Liederdichter zu preisen. Goethe steht in der Mitte zwischen den beiden Ausartungen des Liedes, jenen zwei Schulen, wovon die eine leider mit meinem eigenen Namen, die andere mit dem Namen Schwabens bezeichnet wird. Beide freilich haben ihre Verdienste: sie förderten indirekterweise das Gedeihen der deutschen Poesie. Die erstere bewirkte eine heilsame Reaktion gegen den einseitigen Idealismus im deutschen Liede, sie führte den Geist zurück zur starken Realität und entwurzelte jenen sentimentalen Petrarchismus, der uns immer als eine lyrische Donquichotterie erschienen ist. Die schwäbische Schule wirkte ebenfalls indirekt zum Heile der deutschen Poesie. Wenn in Norddeutschland kräftig gesunde Dichtungen zum Vorschein kommen konnten, so verdankt man dieses vielleicht der schwäbischen Schule, die alle kränkliche, bleichsüchtige, fromm gemütliche Feuchtigkeiten der deutschen Muse an sich zog. Stuttgart war gleichsam die Fontanelle der deutschen Muse.
    Indem ich die höchsten Leistungen im Drama, im Roman und im Liede dem erwähnten großen Triumvirate zuschreibe, bin ich weit davon entfernt, an dem poetischen Werte anderer großen Dichter zu mäkeln. Nichts ist törichter als die Frage, welcher Dichter größer sei als der andere. Flamme ist Flamme, und ihr Gewicht läßt sich nicht bestimmen nach Pfund und Unze. Nur platter Krämersinn kommt mit seiner schäbigen Käsewaage und will den Genius wiegen. Nicht bloß die Alten, sondern auch manche Neuere haben Dichtungen geliefert, worin die Flamme der Poesie ebenso prachtvoll lodert wie in den Meisterwerken von Shakespeare, Cervantes und Goethe. Jedoch diese Namen halten zusammen wie durch ein geheimes Band. Es strahlt ein verwandter Geist aus ihren Schöpfungen; es weht darin eine ewige Milde, wie der Atem Gottes; es blüht darin die Bescheidenheit der Natur. Wie an Shakespeare erinnert Goethe auch beständig an Cervantes, und diesem ähnelt er bis in die Einzelnheiten des Stils, in jener behaglichen Prosa, die von der süßesten und harmlosesten Ironie gefärbt ist. Cervantes und Goethe gleichen sich sogar in ihren Untugenden: in der Weitschweifigkeit der Rede, in jenen langen Perioden, die wir zuweilen bei ihnen finden und die einem Aufzug königlicher Equipagen vergleichbar. Nicht selten sitzt nur ein einziger Gedanke in so einer breitausgedehnten Periode, die wie eine große vergoldete Hofkutsche mit sechs panaschierten Pferden gravitätisch dahinfährt. Aber dieser einzige Gedanke ist immer etwas Hohes, wo nicht gar der Souverän.
    Über den Geist des Cervantes und den Einfluß seines Buches habe ich nur mit wenigen Andeutungen reden können. Über den eigentlichen Kunstwert seines Romans kann ich mich hier noch weniger verbreiten, indem Erörterungen zur Sprache kämen, die allzuweit ins Gebiet der Ästhetik hinabführen würden. Ich darf hier auf die Form seines Romans und die zwei Figuren, die den Mittelpunkt desselben bilden, nur im allgemeinen aufmerksam machen. Die Form ist nämlich die der Reisebeschreibung, wie solches von jeher die natürlichste Form für diese Dichtungsart. Ich erinnere hier nur an den »Goldenen Esel« des Apulejus, den ersten Roman des Altertums. Der Einförmigkeit dieser Form haben die späteren Dichter durch das, was wir heute die Fabel des Romans nennen, abzuhelfen gesucht. Aber wegen Armut an Erfindung haben jetzt die meisten Romanschreiber ihre Fabeln

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