Sämtliche Werke
voneinander geborgt, wenigstens haben die einen mit wenig Modifikationen immer die Fabeln der andern benutzt, und durch die dadurch entstehende Wiederkehr derselben Charaktere, Situationen und Verwicklungen ward dem Publikum am Ende die Romanlektüre einigermaßen verleidet. Um sich vor der Langweiligkeit abgedroschener Romanfabeln zu retten, flüchtete man sich für einige Zeit in die uralte, ursprüngliche Form der Reisebeschreibung. Diese wird aber wieder ganz verdrängt, sobald ein Originaldichter mit neuen, frischen Romanfabeln auftritt. In der Literatur wie in der Politik bewegt sich alles nach dem Gesetz der Aktion und Reaktion.
Was nun jene zwei Gestalten betrifft, die sich Don Quixote und Sancho Pansa nennen, sich beständig parodieren und doch so wunderbar ergänzen, daß sie den eigentlichen Helden des Romans bilden, so zeugen sie im gleichen Maße von dem Kunstsinn wie von der Geistestiefe des Dichters. Wenn andere Schriftsteller, in deren Roman der Held nur als einzelne Person durch die Welt zieht, zu Monologen, Briefen oder Tagebüchern ihre Zuflucht nehmen müssen, um die Gedanken und Empfindungen des Helden kundzugeben, so kann Cervantes überall einen natürlichen Dialog hervortreten lassen; und indem die eine Figur immer die Rede der andern parodiert, tritt die Intention des Dichters um so sichtbarer hervor. Vielfach nachgeahmt ward seitdem die Doppelfigur, die dem Roman des Cervantes eine so kunstvolle Natürlichkeit verleiht und aus deren Charakter, wie aus einem einzigen Kern, der ganze Roman mit all seinem wilden Laubwerk, seinen duftigen Blüten, strahlenden Früchten und Affen und Wundervögeln, die sich auf den Zweigen wiegen, gleich einem indischen Riesenbaum sich entfaltet.
Aber es wäre ungerecht, hier alles auf Rechnung sklavischer Nachahmung zu setzen; sie lag so nahe, die Einführung solcher zwei Figuren wie Don Quixote und Sancho Pansa, wovon die eine, die poetische, auf Abenteuer zieht und die andere, halb aus Anhänglichkeit, halb aus Eigennutz, hinterdreinläuft durch Sonnenschein und Regen, wie wir selber sie oft im Leben begegnet haben. Um dieses Paar, unter den verschiedenartigsten Vermummungen, überall wiederzuerkennen, in der Kunst wie im Leben, muß man freilich nur das Wesentliche, die geistige Signatur, nicht das Zufällige ihrer äußern Erscheinung ins Auge fassen. Der Beispiele könnte ich unzählige anführen. Finden wir Don Quixote und Sancho Pansa nicht ebensogut in den Gestalten Don Juans und Leporellos wie etwa in der Person Lord Byrons und seines Bedienten Fletcher? Erkennen wir dieselben zwei Typen und ihr Wechselverhältnis nicht in der Gestalt des Ritters von Waldsee und seines Kaspar Larifari ebensogut wie in der Gestalt von so manchem Schriftsteller und seinem Buchhändler, welcher letztere die Narrheiten seines Autors wohl einsieht, aber dennoch, um reellen Vorteil daraus zu ziehen, ihn getreusam auf allen seinen idealen Irrfahrten begleitet? Und der Herr Verleger Sancho, wenn er auch manchmal nur Püffe bei diesem Geschäfte gewinnt, bleibt doch immer fett, während der edle Ritter täglich immer mehr und mehr abmagert.
Aber nicht bloß unter Männern, sondern auch unter Frauenzimmern habe ich öfters die Typen Don Quixotes und seines Schildknappen wiedergefunden. Namentlich erinnere ich mich einer schönen Engländerin, einer schwärmerischen Blondine, die mit ihrer Freundin aus einer Londoner Mädchenpension entsprungen war und die ganze Welt durchziehen wollte, um ein so edles Männerherz zu suchen, wie sie es in sanften Mondscheinnächten geträumt hatte. Die Freundin, eine untersetzte Brünette, hoffte bei dieser Gelegenheit, wenn auch nicht etwas ganz apartes Ideale, doch wenigstens einen Mann von gutem Aussehen zu erbeuten. Ich sehe sie noch mit ihren liebesüchtigen blauen Augen, die schlanke Gestalt, wie sie am Strande von Brighton weit über das flutende Meer nach der französischen Küste hinüberschmachtete… Ihre Freundin knackte unterdessen Haselnüsse, freute sich des süßen Kerns und warf die Schalen ins Wasser.
Jedoch weder in den Meisterwerken anderer Künstler noch in der Natur selber finden wir die erwähnten beiden Typen in ihrem Wechselverhältnisse so genau ausgeführt wie bei Cervantes. Jeder Zug im Charakter und der Erscheinung des einen entspricht hier einem entgegengesetzten und doch verwandten Zuge bei dem andern. Hier hat jede Einzelnheit eine parodistische Bedeutung. Ja, sogar zwischen Rosinanten und Sanchos Grauchen
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