Sämtliche Werke
würde mein Verdacht fallen, denn er fuhr mir oft nach den Beinen, wenn ich in Ihren Laden kam, und bellte immer verdrießlich, wenn man ein Exemplar der ›Reisebilder‹ verlangte. Aber Sarras, wie Sie mir längst anzeigten, ist krepiert, und Sie haben sich seitdem ganz andere Hunde angeschafft, die ich nicht persönlich kenne und die gewiß, was sie bei Ihnen erschnüffelt, schnurstracks den Schwaben apportierten, um dafür ein Brosämchen des Lobes im ›Morgenblatte‹ zu erschnappen!« – – Tief verachte ich einen Menschen, der selbst die Ruhe der Toten nicht schont, der mit frecher Hand die Gräber der Verstorbenen aufwühlt, der sich durch unerlaubte Mitteilung von Privatansichten entwürdigt – und obgleich ich nur ein Hund bin,
ein ganz gemeiner Hund
, so wage ich es dennoch, denjenigen Lügen zu strafen, der mich zu einem Handlanger der Zensur macht, der mich für fähig hält, aus Vorliebe für die bei mir allerdings
unendlich höher
als Hr. Heine stehenden
schwäbischen Dichter
in seinem Manuskripte auch nur eine Zeile zu entstellen. – Ich bitte Sie, diese Erklärung schleunigst abzudrucken, denn wenn Campe von der Leipziger Messe zurückkehrt, muß ich kuschen. Fußtritte krieg ich auf jeden Fall.
Hektor
,
Jagdhund bei Hoffmann u. Campe
in Hamburg
Ludwig Börne
Eine Denkschrift
Erstdruck 1839.
~
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Viertes Buch
Fünftes Buch
~
Erstes Buch
Es war im Jahr 1815, nach Christi Geburt, daß mir der Name Börne zuerst ans Ohr klang. Ich befand mich mit meinem seligen Vater auf der Frankfurter Messe, wohin er mich mitgenommen, damit ich mich in der Welt einmal umsehe; das sei bildend. Da bot sich mir ein großes Schauspiel. In den sogenannten Hütten, oberhalb der Zeil, sah ich die Wachsfiguren, wilde Tiere, außerordentliche Kunst- und Naturwerke. Auch zeigte mir mein Vater die großen, sowohl christlichen als jüdischen Magazine, worin man die Waren zehn Prozent unter den Fabrikpreis einkauft und man doch immer betrogen wird. Auch das Rathaus, den Römer, ließ er mich sehen, wo die deutschen Kaiser gekauft wurden, zehn Prozent unter den Fabrikpreis. Der Artikel ist am Ende ganz ausgegangen. Einst führte mich mein Vater ins Lesekabinett einer der △ oder □ Logen, wo er oft soupierte, Kaffee trank, Karten spielte und sonstige Freimaurerarbeiten verrichtete. Während ich im Zeitungslesen vertieft lag, flüsterte mir ein junger Mensch, der neben mir saß, leise ins Ohr:
»Das ist der Doktor Börne, welcher gegen die Komödianten schreibt!«
Als ich aufblickte, sah ich einen Mann, der, nach einem Journale suchend, mehrmals im Zimmer sich hin und her bewegte und bald wieder zur Tür hinausging. So kurz auch sein Verweilen, so blieb mir doch das ganze Wesen des Mannes im Gedächtnisse, und noch heute könnte ich ihn mit diplomatischer Treue abkonterfeien. Er trug einen schwarzen Leibrock, der noch ganz neu glänzte, und blendend weiße Wäsche; aber er trug dergleichen nicht wie ein Stutzer, sondern mit einer wohlhabenden Nachlässigkeit, wo nicht gar mit einer verdrießlichen Indifferenz, die hinlänglich bekundete, daß er sich mit dem Knoten der weißen Krawatte nicht lange vor dem Spiegel beschäftigt und daß er den Rock gleich angezogen, sobald ihn der Schneider gebracht, ohne lange zu prüfen, ob er zu eng oder zu weit.
Er schien weder groß noch klein von Gestalt, weder mager noch dick, sein Gesicht war weder rot noch blaß, sondern von einer angeröteten Blässe oder verblaßten Röte, und was sich darin zunächst aussprach, war eine gewisse ablehnende Vornehmheit, ein gewisses dédain, wie man es bei Menschen findet, die sich besser als ihre Stellung fühlen, aber an der Leute Anerkenntnis zweifeln. Es war nicht jene geheime Majestät, die man auf dem Antlitz eines Königs oder eines Genies, die sich inkognito unter der Menge verborgen halten, entdecken kann; es war vielmehr jener revolutionäre, mehr oder minder titanenhafte Mißmut, den man auf den Gesichtern der Prätendenten jeder Art bemerkt. Sein Auftreten, seine Bewegung, sein Gang hatten etwas Sicheres, Bestimmtes, Charaktervolles. Sind außerordentliche Menschen heimlich umflossen von dem Ausstrahlen ihres Geistes? Ahnet unser Gemüt dergleichen Glorie, die wir mit den Augen des Leibes nicht sehen können? Das moralische Gewitter in einem solchen außerordentlichen Menschen wirkt vielleicht elektrisch auf junge, noch nicht abgestumpfte Gemüter, die ihm nahen, wie das materielle
Weitere Kostenlose Bücher