Sämtliche Werke
herabzusetzen. Ich behauptete, daß sie nicht so vollkommen sei, wie man sie sich im Ausland vorstellt, daß sie sogar sehr unvollkommen sei und daß ich zum Beispiel in meinem Vaterlande sogenannte guterzogene junge Mädchen gesehen hätte, die nicht die kecken Lieder Bérangers singen konnten! »Unmöglich!« rief Mademoiselle Josephine aus.
Ich erinnere mich heute im Zusammenhang mit dieser ausgezeichneten Person der Worte des Mephistopheles, der, als er Faust aus dem Zauberbecher trinken ließ, zu ihm sagte: »Du siehst mit diesem Trank im Leibe bald Helenen in jedem Weibe.« Die Neuheit der Gattung ist der Liebestrank, der auf jeden frisch in Paris gelandeten Deutschen den gleichen Zauber ausübt. Er ist in das niedliche Frätzchen der ersten besten Grisette genauso vernarrt, wie ihn die Küche des übelsten Garkochs vom Palais Royal entzückt, wo man für zwei Franken pro Kopf diniert. Aber für ihn sind es neue Gerichte mit ausländischen Saucen. Späterhin erregt es einem Übelkeit, wenn man sich daran erinnert, daß man diesen unbestimmbaren und übermäßig gewürzten Mischmasch hinuntergeschluckt hat; denn inzwischen haben wir in feinen Restaurants mit feinen Damen diniert, und dort haben wir die so pikanten wie einfachen Gerichte zu schätzen gelernt, die, gar gekocht und kunstvoll angerichtet, manchmal ein wenig nach Wild riechen, dabei aber stets köstlich schmecken.
Am Abend desselben Tages, an dem ich die Grande Chaumière besucht hatte, wo ich die großen Männer Frankreichs noch im Embryonalzustand sah, führte mich einer meiner Landsleute, der in der Gesellschaft bereits bekannt war, in ein Lokal ein, das mit demjenigen, von dem ich soeben gesprochen habe, einige Ähnlichkeit aufwies. Das weibliche Geschlecht war in der Überzahl. Hier machte ich die Bekanntschaft eines großen Mannes, der damals auf dem Gipfel seiner Größe angelangt war. Seitdem hat seine Berühmtheit nachgelassen, aber in Frankreich ist nichts beständig, und die großen Männer tauchen sehr schnell unter; sie kommen nur, um wieder zu verschwinden.
Fußnoten
1 Die verbannten Götter, von Heinrich Heine. Aus dem Französischen. Nebst Mitteilungen über den kranken Dichter. Berlin, Gustav Hempel, 1853.
Memoiren
Entstanden 1854-55. Erstdruck 1884.
Ich habe in der Tat, teure Dame, die Denkwürdigkeiten meiner Zeit, insofern meine eigene Person damit als Zuschauer oder als Opfer in Berührung kam, so wahrhaft und getreu als möglich aufzuzeichnen gesucht.
Diese Aufzeichnungen, denen ich selbstgefällig den Titel »Memoiren« verlieh, habe ich jedoch schier zur Hälfte wieder vernichten müssen, teils aus leidigen Familienrücksichten, teils auch wegen religiöser Skrupeln.
Ich habe mich seitdem bemüht, die entstandenen Lakunen notdürftig zu füllen, doch ich fürchte, postume Pflichten oder ein selbstquälerischer Überdruß zwingen mich, meine Memoiren vor meinem Tode einem neuen Autodafé zu überliefern, und was alsdann die Flammen verschonen, wird vielleicht niemals das Tageslicht der Öffentlichkeit erblicken.
Ich nehme mich wohl in acht, die Freunde zu nennen, die ich mit der Hut meines Manuskriptes und der Vollstreckung meines Letzten Willens in bezug auf dasselbe betraue; ich will sie nicht nach meinem Ableben der Zudringlichkeit eines müßigen Publikums und dadurch einer Untreue an ihrem Mandat bloßstellen.
Eine solche Untreue habe ich nie entschuldigen können; es ist eine unerlaubte und unsittliche Handlung, auch nur eine Zeile von einem Schriftsteller zu veröffentlichen, die er nicht selber für das große Publikum bestimmt hat. Dieses gilt ganz besonders von Briefen, die an Privatpersonen gerichtet sind. Wer sie drucken läßt oder verlegt, macht sich einer Felonie schuldig, die Verachtung verdient.
Nach diesen Bekenntnissen, teure Dame, werden Sie leicht zur Einsicht gelangen, daß ich Ihnen nicht, wie Sie wünschen, die Lektüre meiner Memoiren und Briefschaften gewähren kann.
Jedoch, ein Höfling Ihrer Liebenswürdigkeit, wie ich es immer war, kann ich Ihnen kein Begehr unbedingt verweigern, und um meinen guten Willen zu bekunden, will ich in anderer Weise die holde Neugier stillen, die aus einer liebenden Teilnahme an meinen Schicksalen hervorgeht.
Ich habe die folgenden Blätter in dieser Absicht niedergeschrieben, und die biographischen Notizen, die für Sie ein Interesse haben, finden Sie hier in reichlicher Fülle. Alles Bedeutsame und Charakteristische ist hier treuherzig mitgeteilt, und die
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