Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
Vom Netzwerk:
nach dem Tor die krausbewegte Schar,
    Und lagert draußen sich auf grünem Rasen,
    Bewundert, wie die Bäume fleißig wachsen,
    Spielt mit den bunten, zarten Blümelein,
    Horcht auf den Sang der lust’gen Vögelein,
    Und jauchzt hinauf zum blauen Himmelszelt.
    Zu mir kam auch der Mai. Er klopfte dreimal
    An meine Tür und rief: »Ich bin der Mai,
    Du bleicher Träumer, komm, ich will dich küssen!«
    Ich hielt verriegelt meine Tür, und rief:
    Vergebens lockst du mich, du schlimmer Gast.
    Ich habe dich durchschaut, ich hab durchschaut
    Den Bau der Welt, und hab zuviel geschaut,
    Und viel zu tief, und hin ist alle Freude,
    Und ew’ge Qualen zogen in mein Herz.
    Ich schaue durch die steinern harten Rinden
    Der Menschenhäuser und der Menschenherzen,
    Und schau in beiden Lug und Trug und Elend.
    Auf den Gesichtern les ich die Gedanken,
    Viel schlimme. In der Jungfrau Schamerröten
    Seh ich geheime Lust begehrlich zittern;
    Auf dem begeistert stolzen Jünglingshaupt
    Seh ich die lachend bunte Schellenkappe;
    Und Fratzenbilder nur und sieche Schatten
    Seh ich auf dieser Erde, und ich weiß nicht,
    Ist sie ein Tollhaus oder Krankenhaus.
    Ich sehe durch den Grund der alten Erde,
    Als sei sie von Kristall, und seh das Grausen,
    Das mit dem freud’gen Grüne zu bedecken
    Der Mai vergeblich strebt. Ich seh die Toten;
    Sie liegen unten in den schmalen Särgen,
    Die Händ’ gefaltet und die Augen offen,
    Weiß das Gewand und weiß das Angesicht,
    Und durch die Lippen kriechen gelbe Würmer.
    Ich seh, der Sohn setzt sich mit seiner Buhle
    Zur Kurzweil nieder auf des Vaters Grab; –
    Spottlieder singen rings die Nachtigallen; –
    Die sanften Wiesenblümchen lachen hämisch; –
    Der tote Vater regt sich in dem Grab; –
    Und schmerzhaft zuckt die alte Mutter Erde.
    Du arme Erde, deine Schmerzen kenn ich!
    Ich seh die Glut in deinem Busen wühlen,
    Und deine tausend Adern seh ich bluten,
    Und seh, wie deine Wunde klaffend aufreißt,
    Und wild hervorströmt Flamm’ und Rauch und Blut.
    Ich sehe deine trotz’gen Riesensöhne,
    Uralte Brut, aus dunkeln Schlünden steigend,
    Und rote Fackeln in den Händen schwingend; –
    Sie legen ihre Eisenleiter an
    Und stürmen wild hinauf zur Himmelsfeste; –
    Und schwarze Zwerge klettern nach; – und knisternd
    Zerstieben droben alle goldnen Sterne.
    Mit frecher Hand reißt man den goldnen Vorhang
    Vom Zelte Gottes, heulend stürzen nieder,
    Aufs Angesicht, die frommen Engelscharen.
    Auf seinem Throne sitzt der bleiche Gott,
    Reißt sich vom Haupt die Kron’, zerrauft sein Haar –
    Und näher drängt heran die wilde Rotte.
    Die Riesen werfen ihre roten Fackeln
    Ins weite Himmelreich, die Zwerge schlagen
    Mit Flammengeißeln auf der Englein Rücken; –
    Die winden sich und krümmen sich vor Qualen,
    Und werden bei den Haaren fortgeschleudert; –
    Und meinen eignen Engel seh ich dort,
    Mit seinen blonden Locken, süßen Zügen,
    Und mit der ew’gen Liebe um den Mund,
    Und mit der Seligkeit im blauen Auge –
    Und ein entsetzlich häßlich schwarzer Kobold
    Reißt ihn vom Boden, meinen bleichen Engel,
    Beäugelt grinsend seine edlen Glieder,
    Umschlingt ihn fest mit zärtlicher Umschlingung –
    Und gellend dröhnt ein Schrei durchs ganze Weltall,
    Die Säulen brechen, Erd’ und Himmel stürzen
    Zusammen, und es herrscht die alte Nacht.
    Ratcliff
    Der Traumgott brachte mich in eine Landschaft,
    Wo Trauerweiden mir »Willkommen« winkten
    Mit ihren langen, grünen Armen, wo die Blumen
    Mit klugen Schwesteraugen still mich ansahn,
    Wo mir vertraulich klang der Vögel Zwitschern,
    Wo gar der Hunde Bellen mir bekannt schien,
    Und Stimmen und Gestalten mich begrüßten
    Wie einen alten Freund, und wo doch alles
    So fremd mir schien, so wunderseltsam fremd.
    Vor einem ländlich schmucken Hause stand ich,
    In meiner Brust bewegte sich’s, im Kopfe
    War’s ruhig, ruhig schüttelte ich ab
    Den Staub von meinen Reisekleidern,
    Grell klang die Klingel, und die Tür ging auf.
    Da waren Männer, Frauen, viel bekannte
    Gesichter. Stiller Kummer lag auf allen
    Und heimlich scheue Angst. Seltsam verstört,
    Mit Beileidsmienen fast, sahn sie mich an,
    Daß es mir selber durch die Seele schauert’,
    Wie Ahnung eines unbekannten Unheils.
    Die alte Margret hab ich gleich erkannt;
    Ich sah sie forschend an, jedoch sie sprach nicht.
    »Wo ist Maria?« fragt ich, doch sie sprach nicht,
    Griff leise meine Hand, und führte mich
    Durch viele lange, leuchtende Gemächer,
    Wo Prunk und Pracht und

Weitere Kostenlose Bücher