Sämtliche Werke
Sturm,
Drüben nach dem Geisterberge,
Nach dem altverfallnen Turm.
Dort hat einst ein Schloß gestanden,
Voller Lust und Waffenglanz;
Blanke Ritter, Fraun und Knappen
Schwangen sich im Fackeltanz.
Da verwünschte Schloß und Leute
Eine böse Zauberin,
Nur die Trümmer blieben stehen,
Und die Eulen nisten drin.
Doch die sel’ge Muhme sagte:
Wenn man spricht das rechte Wort,
Nächtlich zu der rechten Stunde,
Drüben an dem rechten Ort:
So verwandeln sich die Trümmer
Wieder in ein helles Schloß,
Und es tanzen wieder lustig
Ritter, Fraun und Knappentroß;
Und wer jenes Wort gesprochen,
Dem gehören Schloß und Leut’,
Pauken und Trompeten huld’gen
Seiner jungen Herrlichkeit.«
Also blühen Märchenbilder
Aus des Mundes Röselein,
Und die Augen gießen drüber
Ihren blauen Sternenschein.
Ihre goldnen Haare wickelt
Mir die Kleine um die Händ’,
Gibt den Fingern hübsche Namen,
Lacht und küßt, und schweigt am End’.
Und im stillen Zimmer alles
Blickt mich an so wohlvertraut;
Tisch und Schrank, mir ist, als hätt ich
Sie schon früher mal geschaut.
Freundlich ernsthaft schwatzt die Wanduhr,
Und die Zither, hörbar kaum,
Fängt von selber an zu klingen,
Und ich sitze wie im Traum.
Jetzo ist die rechte Stunde,
Und es ist der rechte Ort;
Ja, ich glaube, von den Lippen
Gleitet mir das rechte Wort.
»Siehst du, Kindchen, wie schon dämmert
Und erbebt die Mitternacht!
Bach und Tannen brausen lauter,
Und der alte Berg erwacht.
Zitherklang und Zwergenlieder
Tönen aus des Berges Spalt,
Und es sprießet, wie’n toller Frühling,
Draus hervor ein Blumenwald; –
Blumen, kühne Wunderblumen,
Blätter, breit und fabelhaft,
Duftig bunt und hastig regsam,
Wie gedrängt von Leidenschaft.
Rosen, wild wie rote Flammen,
Sprühn aus dem Gewühl hervor;
Lilien, wie kristallne Pfeiler,
Schießen himmelhoch empor.
Und die Sterne, groß wie Sonnen,
Schaun herab mit Sehnsuchtglut;
In der Lilien Riesenkelche
Strömet ihre Strahlenflut.
Doch wir selber, süßes Kindchen,
Sind verwandelt noch viel mehr;
Fackelglanz und Gold und Seide
Schimmern lustig um uns her.
Du, du wurdest zur Prinzessin,
Diese Hütte ward zum Schloß,
Und da jubeln und da tanzen
Ritter, Fraun und Knappentroß,
Aber ich, ich hab erworben
Dich und alles, Schloß und Leut’;
Pauken und Trompeten huld’gen
Meiner jungen Herrlichkeit!«
Der Hirtenknabe
König ist der Hirtenknabe,
Grüner Hügel ist sein Thron;
Über seinem Haupt die Sonne
Ist die große, goldne Kron’.
Ihm zu Füßen liegen Schafe,
Weiche Schmeichler, rotbekreuzt;
Kavaliere sind die Kälber,
Und sie wandeln stolzgespreizt.
Hofschauspieler sind die Böcklein;
Und die Vögel und die Küh’,
Mit den Flöten, mit den Glöcklein,
Sind die Kammermusici.
Und das klingt und singt so lieblich,
Und so lieblich rauschen drein
Wasserfall und Tannenbäume,
Und der König schlummert ein.
Unterdessen muß regieren
Der Minister, jener Hund,
Dessen knurriges Gebelle
Widerhallet in der Rund’.
Schläfrig lallt der junge König:
»Das Regieren ist so schwer;
Ach, ich wollt, daß ich zu Hause
Schon bei meiner Kön’gin wär!
In den Armen meiner Kön’gin
Ruht mein Königshaupt so weich,
Und in ihren schönen Augen
Liegt mein unermeßlich Reich!«
Auf dem Brocken
Heller wird es schon im Osten
Durch der Sonne kleines Glimmen,
Weit und breit die Bergesgipfel
In dem Nebelmeere schwimmen.
Hätt ich Siebenmeilenstiefel,
Lief’ ich, mit der Hast des Windes,
Über jene Bergesgipfel,
Nach dem Haus des lieben Kindes.
Von dem Bettchen, wo sie schlummert,
Zög ich leise die Gardinen,
Leise küßt’ ich ihre Stirne,
Leise ihres Munds Rubinen.
Und noch leiser wollt ich flüstern
In die kleinen Lilienohren:
»Denk im Traum, daß wir uns lieben,
Und daß wir uns nie verloren.«
Die Ilse
Ich bin die Prinzessin Ilse,
Und wohne im Ilsenstein;
Komm mit nach meinem Schlosse,
Wir wollen selig sein.
Dein Haupt will ich benetzen
Mit meiner klaren Well’,
Du sollst deine Schmerzen vergessen,
Du sorgenkranker Gesell!
In meinen weißen Armen,
An meiner weißen Brust,
Da sollst du liegen und träumen
Von alter Märchenlust.
Ich will dich küssen und herzen,
Wie ich geherzt und geküßt
Den lieben Kaiser Heinrich,
Der nun gestorben ist.
Es bleiben tot die Toten,
Und nur der Lebendige lebt;
Und ich bin schön und blühend,
Mein lachendes Herze bebt.
Komm in mein Schloß herunter,
In mein kristallenes
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