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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Geschmeide
    Zieht das Schiff die grünen Furchen.
    Bei dem Steuer liegt der Bootsmann
    Auf dem Bauch, und schnarchet leise.
    Bei dem Mastbaum, segelflickend,
    Kauert der beteerte Schiffsjung’.
    Hinterm Schmutze seiner Wangen
    Sprüht es rot, wehmütig zuckt es
    Um das breite Maul, und schmerzlich
    Schaun die großen, schönen Augen.
    Denn der Kapitän steht vor ihm,
    Tobt und flucht und schilt ihn: »Spitzbub’!
    Spitzbub’! einen Hering hast du
    Aus der Tonne mir gestohlen!«
    Meeresstille! Aus den Wellen
    Taucht hervor ein kluges Fischlein,
    Wärmt das Köpfchen in der Sonne,
    Plätschert lustig mit dem Schwänzchen.
    Doch die Möwe, aus den Lüften,
    Schießt herunter auf das Fischlein,
    Und den raschen Raub im Schnabel,
    Schwingt sie sich hinauf ins Blaue.
    10.
Seegespenst
    Ich aber lag am Rande des Schiffes,
    Und schaute, träumenden Auges,
    Hinab in das spiegelklare Wasser,
    Und schaute tiefer und tiefer –
    Bis tief, im Meeresgrunde,
    Anfangs wie dämmernde Nebel,
    Jedoch allmählich farbenbestimmter,
    Kirchenkuppel und Türme sich zeigten,
    Und endlich, sonnenklar, eine ganze Stadt,
    Altertümlich niederländisch,
    Und menschenbelebt.
    Bedächtige Männer, schwarzbemäntelt,
    Mit weißen Halskrausen und Ehrenketten
    Und langen Degen und langen Gesichtern,
    Schreiten, über den wimmelnden Marktplatz,
    Nach dem treppenhohen Rathaus,
    Wo steinerne Kaiserbilder
    Wacht halten mit Zepter und Schwert.
    Unferne, vor langen Häuserreihn,
    Wo spiegelblanke Fenster
    Und pyramidisch beschnittene Linden,
    Wandeln seidenrauschende Jungfern,
    Schlanke Leibchen, die Blumengesichter
    Sittsam umschlossen von schwarzen Mützchen
    Und hervorquellendem Goldhaar.
    Bunte Gesellen, in spanischer Tracht,
    Stolzieren vorüber und nicken.
    Bejahrte Frauen,
    In braunen, verschollnen Gewändern,
    Gesangbuch und Rosenkranz in der Hand,
    Eilen, trippelnden Schritts,
    Nach dem großen Dome,
    Getrieben von Glockengeläute
    Und rauschendem Orgelton.
    Mich selbst ergreift des fernen Klangs
    Geheimnisvoller Schauer!
    Unendliches Sehnen, tiefe Wehmut
    Beschleicht mein Herz,
    Mein kaum geheiltes Herz; –
    Mir ist, als würden seine Wunden
    Von lieben Lippen aufgeküßt,
    Und täten wieder bluten –
    Heiße, rote Tropfen,
    Die lang und langsam niederfall’n
    Auf ein altes Haus, dort unten
    In der tiefen Meerstadt,
    Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus,
    Das melancholisch menschenleer ist,
    Nur daß am untern Fenster
    Ein Mädchen sitzt,
    Den Kopf auf den Arm gestützt,
    Wie ein armes, vergessenes Kind –
    Und ich kenne dich, armes, vergessenes Kind!
    So tief, meertief also
    Verstecktest du dich vor mir,
    Aus kindischer Laune,
    Und konntest nicht mehr herauf,
    Und saßest fremd unter fremden Leuten,
    Jahrhundertelang,
    Derweilen ich, die Seele voll Gram,
    Auf der ganzen Erde dich suchte,
    Und immer dich suchte,
    Du Immergeliebte,
    Du Längstverlorene,
    Du Endlichgefundene –
    Ich hab dich gefunden und schaue wieder
    Dein süßes Gesicht,
    Die klugen, treuen Augen,
    Das liebe Lächeln –
    Und nimmer will ich dich wieder verlassen,
    Und ich komme hinab zu dir,
    Und mit ausgebreiteten Armen
    Stürz ich hinab an dein Herz –
    Aber zur rechten Zeit noch
    Ergriff mich beim Fuß der Kapitän,
    Und zog mich vom Schiffsrand,
    Und rief, ärgerlich lachend:
    »Doktor, sind Sie des Teufels?«
    11.
Reinigung
    Bleib du in deiner Meerestiefe,
    Wahnsinniger Traum,
    Der du einst so manche Nacht
    Mein Herz mit falschem Glück gequält hast,
    Und jetzt, als Seegespenst,
    Sogar am hellen Tag mich bedrohest –
    Bleib du dort unten, in Ewigkeit,
    Und ich werfe noch zu dir hinab
    All meine Schmerzen und Sünden,
    Und die Schellenkappe der Torheit,
    Die so lange mein Haupt umklingelt,
    Und die kalte, gleißende Schlangenhaut
    Der Heuchelei,
    Die mir so lang die Seele umwunden,
    Die kranke Seele,
    Die gottverleugnende, engelverleugnende,
    Unselige Seele –
    Hoiho! Hoiho! Da kommt der Wind!
    Die Segel auf! Sie flattern und schwell’n!
    Über die stillverderbliche Fläche
    Eilet das Schiff,
    Und es jauchzt die befreite Seele.
    12.
Frieden
    Hoch am Himmel stand die Sonne,
    Von weißen Wolken umwogt,
    Das Meer war still,
    Und sinnend lag ich am Steuer des Schiffes,
    Träumerisch sinnend – und, halb im Wachen
    Und halb im Schlummer, schaute ich Christus,
    Den Heiland der Welt.
    Im wallend weißen Gewande
    Wandelt’ er riesengroß
    Über Land und Meer;
    Es ragte sein Haupt in den Himmel,
    Die Hände streckte er segnend
    Über Land und Meer;
    Und als ein Herz in

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