Sämtliche Werke
Erscheinung? Ja, auch im Reiche des Gedankens sind Transaktionen notwendig. Was war es anders als Transaktion zwischen der römisch-katholischen Überlieferung und der menschlich-göttlichen Vernunft, was vor drei Jahrhunderten in Deutschland als Reformation und protestantische Kirche ins Leben trat? Was war es anders als Transaktion, was Napoleon in Frankreich versuchte, als er die Menschen und die Interessen des alten Regimes mit den neuen Menschen und neuen Interessen der Revolution zu versöhnen suchte? Er gab dieser Transaktion den Namen »Fusion« – ebenfalls ein sehr bedeutungsvolles Wort, welches ein ganzes System offenbart. – Zwei Jahrtausende vor Napoleon hatte ein anderer großer Staatsmann, Alexander von Mazedonien, ein ähnliches Fusionssystem ersonnen, als er den Okzident mit dem Orient vermitteln wollte, durch Wechselheiraten zwischen Siegern und Besiegten, Sittentausch, Gedankenverschmelzung. – Nein, zu solcher Höhe des Fusionssystems konnte sich Napoleon nicht erheben, nur die Personen und die Interessen wußte er zu vermitteln, nicht die Ideen, und das war sein großer Fehler und auch der Grund seines Sturzes. Wird Herr Thiers denselben Mißgriff begehen? Wir fürchten es fast. Herr Thiers kann sprechen von Morgen bis Mitternacht, unermüdet, immer neue glänzende Gedanken, immer neue Geistesblitze hervorsprühend, den Zuhörer ergötzend, belehrend, blendend man möchte sagen: ein gesprochenes Feuerwerk. Und dennoch begreift er mehr die materiellen als die idealen Bedürfnisse der Menschheit; er kennt den letzten Ring nicht, womit die irdischen Erscheinungen an den Himmel gekettet sind: er hat keinen Sinn für große soziale Institutionen.
IV
Paris, den 30. April 1840
»Erzähle mir, was du heute gesäet hast, und ich will dir voraussagen, was du morgen ernten wirst!« An dieses Sprichwort des kernichten Sancho dachte ich dieser Tage, als ich im Faubourg Saint-Marceau einige Ateliers besuchte und dort entdeckte, welche Lektüre unter den Ouvriers, dem kräftigsten Teile der untern Klasse, verbreitet wird. Dort fand ich nämlich mehre neue Ausgaben von den Reden des alten Robespierre, auch von Marats Pamphleten, in Lieferungen zu zwei Sous, die Revolutionsgeschichte des Cabet, Cormenins giftige Libelle, Babeufs Lehre und Verschwörung von Buonarotti, Schriften, die wie nach Blut rochen; – und Lieder hörte ich singen, die in der Hölle gedichtet zu sein schienen und deren Refrains von der wildesten Aufregung zeugten. Nein, von den dämonischen Tönen, die in jenen Liedern walten, kann man sich in unsrer zarten Sphäre gar keinen Begriff machen; man muß dergleichen mit eigenen Ohren angehört haben, z.B. in jenen ungeheuern Werkstätten, wo Metalle verarbeitet werden und die halbnackten, trotzigen Gestalten während des Singens mit dem großen eisernen Hammer den Takt schlagen auf dem dröhnenden Amboß. Solches Akkompagnement ist vom größten Effekt, sowie auch die Beleuchtung, wenn die zornigen Funken aus der Esse hervorsprühen. Nichts als Leidenschaft und Flamme!
Eine Frucht dieser Saat, droht aus Frankreichs Boden früh oder spät die Republik hervorzubrechen. Wir müssen, in der Tat, solcher Befürchtung Raum geben; aber wir sind zugleich überzeugt, daß jenes republikanische Regiment nimmermehr von langer Dauer sein kann in der Heimat der Koketterie und der Eitelkeit. Und gesetzt auch, der Nationalcharakter der Franzosen wäre mit dem Republikanismus ganz vereinbar, so könnte doch die Republik, wie unsere Radikalen sie träumen, sich nicht lange halten. In dem Lebensprinzip einer solchen Republik liegt schon der Keim ihres frühen Todes; in ihrer Blüte muß sie sterben. Gleichviel von welcher Verfassung ein Staat sei, er erhält sich nicht bloß und allein durch den Gemeinsinn und den Patriotismus der Volksmasse, wie man gewöhnlich glaubt, sondern er erhält sich durch die Geistesmacht der großen Individualitäten, die ihn lenken. Nun aber wissen wir, daß in einer Republik der angedeuteten Art ein eifersüchtiger Gleichheitssinn herrscht, der alle ausgezeichneten Individualitäten immer zurückstößt, ja unmöglich macht, und daß also in Zeiten der Not nur Gevatter Gerber und Wursthändler sich an die Spitze des Gemeinwesens stellen werden. Durch dieses Grundübel ihrer Natur müssen jene Republiken notwendigerweise zugrunde gehen, sobald sie mit energischen und von großen Individualitäten vertretenen Oligarchien und Autokratien in einen entscheidenden Kampf geraten.
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