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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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kennenzulernen.
    Nie sagt George Sand etwas Witziges, wie sie überhaupt eine der unwitzigsten Französinnen ist, die ich kenne. Mit einem liebenswürdigen, oft sonderbaren Lächeln hört sie zu, wenn andere reden, und die fremden Gedanken, die sie in sich aufgenommen und verarbeitet hat, gehen aus dem Alambik ihres Geistes weit kostbarer hervor. Sie ist eine sehr feine Horcherin. Sie hört auch gerne auf den Rat ihrer Freunde. Bei ihrer unkanonischen Geistesrichtung hat sie, wie begreiflich, keinen Beichtvater; doch da die Weiber, selbst die emanzipationssüchtigsten, immer eines männlichen Lenkers, einer männlichen Autorität bedürfen, so hat George Sand gleichsam einen literarischen directeur de conscience, den philosophischen Kapuziner Pierre Leroux. Dieser wirkt leider sehr verderblich auf ihr Talent, denn er verleitet sie, sich in unklare Faseleien und halbausgebrütete Ideen einzulassen, statt sich der heitern Lust farbenreicher und bestimmter Gestaltungen hinzugeben, die Kunst der Kunst wegen übend. Mit weit weltlichern Funktionen hatte George Sand unsern vielgeliebten Frédéric Chopin betraut. Dieser große Musiker und Pianist war während langer Zeit ihr Cavaliere servente; vor seinem Tode entließ sie ihn; sein Amt war freilich in der letzten Zeit eine Sinekure geworden.
    Ich weiß nicht, wie mein Freund Heinrich Laube einst in der ›Allgemeinen Zeitung‹ mir eine Äußerung in den Mund legen konnte, die dahin lautete, als sei der damalige Liebhaber von George Sand der geniale Franz Liszt gewesen. Laubes Irrtum entstand gewiß durch Ideenassoziationen, indem er die Namen zweier gleichberühmten Pianisten verwechselte. Ich benutze diese Gelegenheit, dem guten oder vielmehr dem ästhetischen Leumund der Dame einen wirklichen Dienst zu erweisen, indem ich meinen deutschen Landsleuten zu Wien und Prag die Versicherung erteile, daß es eine der miserabelsten Verleumdungen ist, wenn dort einer der miserabelsten Liederkompositeurs vom mundfaulsten Dialekte, ein namenloses, kriechendes Insekt, sich rühmt, mit George Sand in intimem Umgange gestanden zu haben. Die Weiber haben allerlei Idiosynkrasien, und es gibt deren sogar, welche Spinnen verspeisen; aber ich bin noch keiner Frau begegnet, welche Wanzen verschluckt hätte. Nein, an dieser prahlerischen Wanze hat Lélia nie Geschmack gefunden, und sie tolerierte dieselbe nur manchmal in ihrer Nähe, weil sie gar zu zudringlich war.
    Lange Zeit, wie ich oben bemerkt, war Alfred de Musset der Herzensfreund von George Sand. Sonderbarer Zufall, daß einst der größte Dichter in Prosa, den die Franzosen besitzen, und der größte ihrer jetzt lebenden Dichter in Versen (jedenfalls der größte nach Béranger), lange Zeit in leidenschaftlicher Liebe füreinander entbrannt, ein lorbeergekröntes Paar bildeten. George Sand in Prosa und Alfred de Musset in Versen überragen in der Tat den so gepriesenen Victor Hugo, der mit seiner grauenhaft hartnäckigen, fast blödsinnigen Beharrlichkeit den Franzosen und endlich sich selber weismachte, daß er der größte Dichter Frankreichs sei. Ist dieses wirklich seine eigene fixe Idee? Jedenfalls ist es nicht die unsrige. Sonderbar! die Eigenschaft, die ihm soviel fehlt, ist eben diejenige, die bei den Franzosen am meisten gilt und zu ihren schönsten Eigentümlichkeiten gehört. Es ist dieses der Geschmack. Da sie den Geschmack bei allen französischen Schriftstellern antrafen, mochte der gänzliche Mangel desselben bei Victor Hugo ihnen vielleicht eben als eine Originalität erscheinen. Was wir bei ihm am unleidlichsten vermissen, ist das, was wir Deutsche ›Natur‹ nennen: er ist gemacht, verlogen, und oft im selben Verse sucht die eine Hälfte die andere zu belügen; er ist durch und durch kalt, wie nach Aussagen der Hexen der Teufel ist, eiskalt sogar in seinen leidenschaftlichsten Ergüssen; seine Begeisterung ist nur eine Phantasmagorie, ein Kalkül ohne Liebe, oder vielmehr, er liebt nur sich; er ist ein Egoist, und damit ich noch Schlimmeres sage, er ist ein Hugoist. Wir sehen hier mehr Härte als Kraft, eine freche eiserne Stirn und, bei allem Reichtum der Phantasie und des Witzes, dennoch die Unbeholfenheit eines Parvenüs oder eines Wilden, der sich durch Überladung und unpassende Anwendung von Gold und Edelsteinen lächerlich macht: kurz, barocke Barbarei, gellende Dissonanz und die schauderhafteste Difformität! Es sagte jemand von dem Genius des Victor Hugo: ›C’est un beau bossu.‹ Das Wort ist

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