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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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haben bereits genug Vorteile im trüben erfischt. Für Deutschland und Frankreich jedoch ist der Krieg ebenso unnötig wie gefährlich; – die Franzosen besäßen zwar gern die Rheingrenze, aber nur, weil sie sonst gegen etwaige Invasionen zuwenig geschützt sind, und die Deutschen brauchten nicht zu fürchten, die Rheingrenze zu verlieren, solange sie nicht selber den Frieden brechen. Weder das deutsche Volk noch das französische Volk begehrt nach Krieg. Ich brauche wohl nicht erst zu beweisen, daß die Rodomontaden unsrer Deutschtümler, die nach dem Besitz von Elsaß und Lothringen schreien, nicht der Ausdruck des deutschen Bauers und des deutschen Bürgers sind. Aber auch der französische Bürger und der französische Bauer, der Kern und die Masse des großen Volks, wünschen keinen Krieg, da die Bourgeoisie nur nach industriellen Ausbeutungen, nach Eroberungen des Friedens trachtet und der Landmann noch aus der Kaiserperiode sehr gut weiß, wie teuer, wie blutteuer er die Triumphe der Nationaleitelkeit bezahlen muß.
    Die kriegerischen Gelüste, die bei den Franzosen seit den Zeiten der Gallier so stürmisch loderten und brodelten, sind nachgerade ziemlich erloschen, und wie wenig die militärische furor francese jetzt bei ihnen vorherrschend, zeigte sich bei der Leichenfeier des Kaisers Napoleon Bonaparte. Ich kann nicht mit den Berichterstattern übereinstimmen, die in dem Schauspiel jenes wunderbaren Begräbnisses nur Pomp und Gepränge sahen. Sie hatten kein Auge für die Gefühle, die das französische Volk bis in seine Tiefen erschütterten. Diese Gefühle waren aber nicht die des soldatischen Ehrgeizes und Stolzes, den siegreichen Imperator begleitete nicht jener Prätorianerjubel, jene lärmige Ruhm- und Raubsucht, deren man sich in Deutschland noch erinnert aus den Tagen des Empire. Die alten Eroberer haben seitdem das Zeitliche gesegnet, und es war eine ganz neue Generation, die dem Leichenbegängnisse zuschaute, und wenn nicht mit brennendem Zorn, doch gewiß mit der Wehmut der Pietät sah sie auf diesen goldenen Katafalk, worin gleichsam alle Freuden, Leiden, glorreiche Irrtümer und gebrochene Hoffnungen ihrer Väter, die eigentliche Seele ihrer Väter, eingesargt lag! Da gab’s mehr stumme Tränen als lautes Geschrei. Und dann war die ganze Erscheinung so fabelhaft, so märchenartig, daß man kaum seinen Augen traute, daß man zu träumen glaubte. Denn dieser Napoleon Bonaparte, den man begraben sah, war für das heutige Geschlecht schon längst dahingeschwunden in das Reich der Sage, zu den Schatten Alexanders von Mazedonien und Karls des Großen, und jetzt, siehe! eines kalten Wintertags erscheint er mitten unter uns Lebenden, auf einem goldenen Siegeswagen, der geisterhaft dahinrollt in den weißen Morgennebeln.
    Diese Nebel aber zerrannen wunderbar, sobald der Leichenzug in den Champs-Élysées anlangte. Hier brach die Sonne plötzlich aus dem trüben Gewölk und küßte zum letztenmal ihren Liebling und streute rosige Lichter auf die imperialen Adler, die ihm vorangetragen wurden, und wie mit sanftem Mitleid bestrahlte sie die armen, spärlichen Überreste jener Legionen, die einst im Sturmschritt die Welt erobert und jetzt, mit verschollenen Uniformen, matten Gliedern und veralteten Manieren, hinter dem Leichenwagen als Leidtragende einherschwankten. Unter uns gesagt, diese Invaliden der Großen Armee sahen aus wie Karikaturen, wie eine Satire auf den Ruhm, wie ein römisches Spottlied auf den toten Triumphator!
    Die Muse der Geschichte hat diesen Leichenzug eingezeichnet in ihre Annalen als besondere Merkwürdigkeit; aber für die Gegenwart ist jenes Ereignis minder wichtig und liefert nur den Beweis, daß der Geist der Soldateska bei den Franzosen nicht so blühend vorwaltet, wie mancher Bramarbas diesseits des Rheins prahlt und mancher Schöps jenseits ihm nachschwatzt. Der Kaiser ist tot. Mit ihm starb der letzte Held nach altem Geschmack, und die neue Philisterwelt atmet auf, wie erlöst von einem glänzenden Alp. Über seinem Grabe erhebt sich eine industrielle Bürgerzeit, die ganz andre Heroen bewundert, etwa den tugendhaften Lafayette oder James Watt, den Baumwollespinner.
XXX
    Paris, 31. Januar 1841
    Zwischen Völkern, die eine freie Presse, unabhängige Parlamente und überhaupt die Institutionen des öffentlichen Verfahrens besitzen, können die Mißverständnisse, die durch die Intrigen von Hofjunkern und durch die Unholde der Parteisucht angezettelt werden, nicht auf die

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