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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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Freundschaft, der Wahrheit-Eifer , der Dichtergeist, aber auch die Leidenschaften mit ihren Giftzähnen und Giftblasen. In diesem Jahrzehend schleicht das Mädchen aus ihren durchlachten Jahren weg und verbirgt das trübere Auge unter derselben hängenden Trauerweide, worunter der stille Jüngling seine Brust und ihre Seufzer kühlt, die für etwas Nähers steigen als für Mond und Nachtigall. Glücklicher Jüngling! in dieser Minute nehmen alle Grazien deine Hand, die dichterischen, die weiblichen und die Natur selber, und legen ihre Unsichtbarkeit ab und schließen dich in einen Zauberkreis von Engeln ein. Ich sagte: selber die Natur; denn an ihr glühen noch höhere Reize als die malerischen; und der Mensch, für dessen Auge sie ein meilenlanges Kniestück voll Zaubereien war, kann ihr ein Herz mitbringen, das aus ihr ein Pygmalions-Gebilde macht, welches tausend Seelen hat und mit allen eine umschlingt…. O sie kehrt niemals, niemals wieder, die zweite Dekade des armen Lebens, die mehr hat als drei hohe Festtage: ist sie vorüber, so hat eine kalte Hand unsre Brust und unser Auge berührt; was noch in diese dringt, was noch aus ihnen dringt, hat den ersten Morgenzauber verloren, und das Auge des alten Menschen öffnet sich dann bloß gegen eine höhere Welt, wo er vielleicht wieder Jüngling wird!
    Drei Tage, eh’ der Professor kam, war Gespensterlärm im Schloß; zwei Tage vorher währte er noch fort; einen Tag zuvor machte der Rittmeister Anstalten zur Entdeckung der Schelmerei. Er hatte einen Wasserscheu vor Gespenstergeschichten und gab jedem Bedienten, der eine wie Bokaz erzählte, als ein Honorar seiner Novelle nach der Bogenzahl Prügel. Die Rittmeisterin ärgerte ihn durch ihren Leichtglauben, und sie bekam oft den Blick von ihm, den Männer werfen, wenn die Hoffnungen oder Befürchtungen ihrer Weiber Hasensprünge wie Erdhalbmesser tun. – Sie hatte nachts ein dreifüßiges Gehen durch den Korridor gehört, ein Blitz war durch ihr Schlüsselloch gefahren, und eine andre Taschenuhr als ihre hatte 12 geschlagen, und alles war verflogen.
    Er lud also seine Doppelpistolen, um den Teufel mit dem Pulver, das er nach Milton früher als die Sineser erfunden, anzufallen; sein Gustav mußte mit dabei sein, um mutig zu werden. Die Schloßuhr schlug 11, es kam nichts – sie schlug 12, wieder nichts – sie schlug 12 noch einmal ohne Hülfe des Uhrwerks: jetzo wickelte sich auf dem Schloßboden ein hieroglyphisches Gepolter heran, drei Füße traten die vielen Treppen herab und erschüttern den Korridor. Er, der selten in Leiden , aber immer in Gefahren mutig war, ging langsam aus dem Zimmer und sah im langen Gange nichts als die ausgeblasene Hauslaterne an der Haupttreppe; etwas ging im Finstern auf ihn zu – und indem er auf das stumme Wesen feuern wollte, rief er: »Wer da?« Plötzlich blitzte fünf Schritte von ihm – und hier faßte der Tetanus der Angst Gustavs Nerven – das Licht einer Blendlaterne auf ein Gesicht, das in der Luft hing und das sagte:»Hoppedizel!« Der wars; warf sein Stiefelholz und andern Apparat dieser Farce weg, und niemand hatte etwas darwider als der Rittmeister, weil er seinen Mut nicht beweisen konnte, und die Rittmeisterin, weil sie keinen bewiesen hatte.
    – Aber in Gustavs Gehirn riß dieses in der Luft hangende Gesicht mit der Ätznadel ein verzerrtes Bild hinein, das seine Fieberphantasien ihm einmal wieder unter die sterbenden Augen halten werden. Bloß heftige Phantasie, nicht Mangel an Mut schafft die Geisterfurcht; und wer jene einmal in einem Kinde zum Erschrecken aufwiegelte, gewinnt nichts, wenn er sie nachher widerlegt und sie belehrt: »Es war natürlich.« Daher fürchten sich in der nämlichen Familie nur einige Kinder, d. h. die mit geflügelter Phantasie – daher zieht Shakespeare in seinen Geisterszenen die Haare des Ungläubigen in der Frontloge zu Berge, offenbar vermittelst seiner aufgewiegelten Phantasie. – Die Geisterfurcht ist ein außerordentliches Meteor unserer Natur, erstlich wegen ihrer Herrschaft über alle Völker; zweitens weil sie nicht von der Erziehung kommt; denn in der Kindheit schauert man zugleich vor dem großen Bären an der Türe und vor einem Geiste zusammen, aber die eine Furcht vergeht, warum bleibt die andre? – Drittens des Gegenstandes wegen: der Geisterfurchtsame erstarret nicht vor Schmerz oder Tod, sondern vor der bloßen Gegenwart eines ganz fremdartigen Wesens; er würde einen Mond-Insassen, einen Fixstern-Residenten

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