Saemtliche Werke von Jean Paul
so leicht wie ein neues Tier erblicken können, aber in den Menschen wohnt ein Schauer gleichsam vor Übeln, die die Erde nicht kennt, vor einer ganz andern Welt, als um irgendeine Sonne hängt, vor Dingen, die an unser Ich näher grenzen….
Ich mußte den einfältigen Professor-Spaß aufschreiben, weil er nach zwei Tagen um den fliegenden Gustav folgende Szene erzeugte, die ihm ebensogut das Herz zerquetschen als erheben konnte.
In der Frist vor seiner Abreise trug er sein schweres Herz und schweres Auge an alle Orte, die er liebte und verließ, in das heilige Grab seiner Kinderjahre, unter jeden Baum, der ihm die Sonne genommen, auf jeden Hügel, der sie ihm gezeigt hatte – er ging zwischen lauter Ruinen des sanften Kinderlebens hindurch; über seinem ganzen Jugendparadies lag die Vergangenheit wie eine Flut; vor ihm, hinter ihm zog sich das Marsch- und Ackerland, worein das Schicksal so bald den Menschen treibt…. Das war die Minute, wo ich vor der Sonne, die wie er von dannen ging, und vor der ganzen großen Natur, die mit unsichtbaren Händen den blinden Menschen in weite, reine, unbekannte Regionen hebt, meinem geliebten Schüler das Bild seines Guido , das ich ihm bisher entzog, ans Herz drückte; in solchen Minuten sind Worte nicht nötig, aber jedes, das man spricht, hat eine allmächtige Hand: »Hier, Gustav,« (sagt’ ich) »hier vor dem Himmel und der Erde und vor allem Unsichtbaren um den Menschen, hier übergeb’ ich dir aus meinen bewahrenden Händen fünf große Dinge in deine: – ich übergebe dir dein unschuldiges Herz – ich übergebe dir deine Ehre – den Gedanken an das Unendliche – dein Schicksal – und deine Gestalt, die auch um Guidos Seele liegt. Die großen Stunden stehen nicht auf der Erde, die dich fragen werden, ob du diese fünf großen Dinge erhalten oder verloren hast – aber sie werden einmal deine künftige Seele mit deiner jetzigen vergleichen – – ach! laß mich an mich nicht denken, wenn du alles verloren hast!«…
Ich ging und umarmte ihn nicht; die besten Gefühle haften stärker, wenn man ihnen nicht erlaubt, sich auszudrücken. Er blieb, und seine Gefühle wendeten sich an Guidos Bild; aber das konnte ihn nicht an seine eigne Gestalt erinnern – denn eine Mannsperson kann 20 Jahre alt werden, ohne ihre Zähne, und 25 Jahre, ohne ihre Augen-Wimpern zu kennen, indes ein Mädchen dahinter kommt vor der Firmelung –, sondern das Bild regte alles, was in ihm von dem Andenken und der Liebe gegen seinen Genius, den ersten Erzieher, schlummerte, wieder auf; ja er fand am Bilde lauter Ähnlichkeiten mit seinem weggeflohenen Freunde aus und sah dessen Gestalt im gemalten Nichts wie in einem Hohlspiegel.
Sein Gehirn brannte wie eine glimmende Steinkohlenmine im Traume auf dem Kopfkissen fort. Ihm kams darin vor, als zerlief’ er in einen reinen Tautropfen und ein blauer Blumenkelch sög’ ihn ein – dann streckte sich die schwankende Blume mit ihm hoch empor und höb’ ihn in ein hohes hohes Zimmer, wo sein Freund, der Genius, oder Guido mit dessen Schwester spielte, dem der Arm, sooft er ihn nach Gustav ausstreckte, abfiel und dem die Schwester ihn wieder reichte. Auf einmal knickte die Blume zusammen, und niederfallend sah er drei weiße Mondstrahlen seinen Freund in den Himmel ziehen, der die Blicke abwärts gegen den Gefallnen drehte. Er erwachte – außer dem Bette am offnen Fenster lehnend, das über den Garten ins schlafende Auenthal sah. Der Himmel sank in einem stummen Strahlen-Regen nieder – am leuchtenden Universum regte sich nichts als die Strahlenspitzen der Fixsterne – die Häuser standen wie Grabmäler, in denen die Sterblichen ausschliefen – die Träume gingen in den geschlossenen Sinnen der Sterblichen aus und ein, und der Tod trat zuweilen ein Haupt und den Traum darin entzwei. Der Himmel schien Gustaven an sein Fenster gesunken. »O kehr um, komm wieder, Geliebter!« (rief er, durch Traum und Gegenwart dahingerissen) –»o du warst da, du suchest mich! Erscheine mir, töte mich! – Ach du tausendfach Geliebter! sende mir von deinem Himmel wenigstens deine Stimme!« – Unversehends schnitt etwas vor dem Fenster die Luft entzwei und rief »Gustav«, und im fernen Weiterfliegen riefs zweimal höher herab »Gustav, Gustav«. Ein Eisberg fiel auf seine starrende Haut in der ersten Sekunde; aber in der zweiten glühte er wieder an, gab seine Arme dem Tode und dem Freunde und schlug das Auge an einer Luftstelle unter dem Mondblenden
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