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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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»wenn Sie’s so angreift.« –
    »Nein,«sagt’ ich,»schnips’ Er mir nur nicht so! – Aber so eine Base bekommen wir beide schwerlich so bald wieder!« Denn ich besann mich nicht mehr.
    Und doch besteht das Leben wie ein Miniaturgemälde aus solchen Punkten, aus solchen Augenblicken. Der Stoizismus hält oft die Keule der Stunde, aber nicht den Mückenstachel der Sekunde ab.
    Mein Doktor nahm mich ernsthaft (unter dem unbefangnen Fragen meines Vetters:»Wie wollte mein Herr Vetter?«) aus der Stube hinaus und sagte: »Du bist, lieber Jean Paul, mein wahrer Freund, ein Regierungadvokat, eine Maußenbacher Audienza, ein Schriftsteller im lebensbeschreibenden Fache – aber ein Narr bist du doch, ich meine ein Hypochondrist .«
    Abends tat er mir beides dar. O an jenem Abend zogest du mich, guter Fenk, aus dem Rachen und aus den Giftzähnen der Hypochondrie heraus, die ihren beißenden Saft auf alle Minuten sprützen! Deine ganze Apotheke lag auf deiner Zunge! Deine Rezepte waren Satiren und deine Kur Belehrung!
    »Setz in deine Biographie,« – fing er an und steckte seine Hände in seinen Muff – »daß es bei dir keine Nachahmung des Herrn Thümmels und seines Doktors und ihres medizinischen Kollegiums ist, das halb aus dem Patienten, halb aus dem Arzte bestand – daß ich dich auch ausfilze; denn ich will es in der Tat tun. – Sag mir, wo hast du bisher deine Vernunft, ja nur deine Einbildkraft gehabt, daß du des Henkers lebendig warest? Antworte mir nicht, daß die Gelehrten hier zu verschiedner Meinung wären – daß Willis die Einbildkraft in die Hirnschwiele verlegte – Posidonius hingegen in die Vorderkammer, wie auch Aetius – und Glaser ins eiförmige Zentrum. Die Sach’ ist nur eine lebhafte Redensart; weil du mich aber damit irre machst: so will ich dich anders angreifen. Sag mir – oder sagen Sie mir, liebe Philippine, wie konnten Sie zulassen, daß der Patient bisher so viel erhabne, rührende und poetische Empfindungen hatte und niederschrieb für andre Menschen? Hätten Sie ihm nicht das Dintenfaß oder den Kaffeetopf umwerfen können oder den ganzen Schreibtisch? Die Anstrengung der empfindenden Phantasie ist unter allen geistigen die entnervendste; ein Algebraist überlebt allemal einen Tragödiensteller.«
    »Und auch«, sagt’ ich, »einen Physiologen: Hallers verdammte und doch vortreffliche Physiologie hätte mich beinahe niedergearbeitet, die acht Bände hier.« – –
    »Eben darum,« – fuhr er fort – »diese anatomische Oktapla spannt die Phantasie, die sonst nur über fließende poetische Auen zu schweben pflegte, auf scharf abgeschnittene und noch dazu kleine Gegenstände an; daher…«
    »Zum Glück« – unterbrach ich ihn –»richtete ich mich und meine Phantasie ziemlich durch braunes Bier wieder auf, das ich (wenn ich Atem holen wollte) so lange nehmen mußte, als ich über dem Herrn von Haller saß. In diesem Vehikel und in dieser Verdünnung bracht’ ich diese Arznei des Geistes, die Physiologie, leichter hinein. Ich kann also, wenn ich nicht der größte Trinker werden will, unmöglich der größte Physiolog werden.«
    »Es ist gut,« – sagt’ er ungeduldig und zog aus seinem Muff den Schwanz heraus – »aber so wird nichts. Ich und du stehen hier in lauter Ausschweif-Reden, anstatt in vernünftigen Paragraphen; die Rezensenten deiner Biographie müssen glauben, ich wäre wenig systematisch.
    Ich will jetzt reden wie ein Buch oder wie eine Doktordisputation; ich sollte ohnehin eine für einen Doktoranden mit der Doktorsucht schreiben und wollte darin entweder den nervus ischiaticus oder den nervus sympatheticus durchgehen; ich wills bleiben lassen und hier und in der Disputation von schwachen Nerven überhaupt reden.
    Jeder Arzt muß eine Favorit-Krankheit haben, die er öfters sieht als eine andre – die meinige ist Nervenschwäche. Reizbare, schwache, überspannte Nerven, hysterische Umstände und deine Hypochondrie – sind viele Taufnamen meiner einzigen Lieblingkrankheit.
    Man kann sie so zeitig wie den Erbadel bekommen – der Erbadel selber, fast die höhern Weiber und höchsten Kinder haben sie aus dieser ersten Hand – dann kann sie durch alle Doktor-Hüte gleich den ewigen Höllenstrafen nicht weggenommen, sondern nur gelindert werden.
    Du aber hast sie dir wie den Kaufadel durch Verdienste erworben.« – –
    »Sie ist vielmehr selber ein Verdienst,« – sagt’ ich – »und ein Hypochondrist ist der Milchbruder eines Gelehrten, wenn

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