Saemtliche Werke von Jean Paul
er nicht gar selber dieser ist; so wie die Blattern, die den Affen so gut wie uns befallen, auf seine Verwandtschaft mit dem Menschen das Siegel drücken.« –
»Aber dein Verdienst« – fuhr er fort – »ist viel leichter zu kurieren. Wenn man dir dreierlei, nämlich deine pathologischen Fieberbilder – deine Arzneigläser – und deine Bücher nimmt: so wird die Krankheit mit dreingegeben. Ich vergesse immerfort, daß ich wie eine Disputation reden will. Also die Fieberbilder! – Die jämmerlichste Semiotik ist sicherlich nicht die sinesische, sondern die hypochondrische. Deine Krankheit und eine stoische Tugend gleichen sich darin, daß, wer eine hat, alle hat. Du standest als eine tragende Pfänderstatue da, der die Pathologie alle ihre Insignien und Schilde aufpackte und umsteckte – jämmerlich schrittest du herum unter deinem medizinischen Gewehrtragen und deiner semiotischen Landfracht von Herzpolypus, mazerierten Lungenflügel, Magen-Insassen u. s. w.«
»Ah!« versetzte ich, »alles ist abgeladen, und ich trage bloß noch auf der Gehirnkugel ein Kapillar- oder Haarnetz von geschwollnen Blutadern, oder so eine Art Täucherkappe des Todes, welche die Leute sehr gemein einen Schlagfluß benamsen.«
»Eine Narrenkappe hast du innen auf; denn die Sache ist nicht anders als so: im Hypochondristen sind zwar alle Nerven schwach, aber die am schwächsten, die er am meisten gemißbraucht. Da man sich diese Schwäche meistens ersitzt, erstudiert und erschreibt und mithin gerade dem Unterleib, der doch der Moloch dieser Geisteskinder sein soll, alle die Bewegung nimmt, die man den Fingern gibt: so vermengt man den siechen Unterleib mit siechen Nerven und hofft, Kämpfs Viszeral-Sprütze sei zugleich eine Doppelflinte gegen jenen und gegen diese. Glaub es aber nicht; es kann ein hypochondrisches Bruststück auf einem rüstigen Unterleib sitzen. Nicht deine Lungenflügel sind zerknickt, wenn sie zuweilen erschlaffen, sondern deine Lungennerven sind entseelt, von denen sie gehoben werden sollten, oder auch deine Zwerchfellnerven. Spannen sich deine Magennerven ab, so hast du so viel Schwindel und Ekel, als läge wirklich diätetischer Bodensatz im Magen oder irgendeine Aderflut im Kopfe. Sogar der schwache Magen ist nicht immer im Gefolge schwacher Nerven; sieh nur zu, wie ein matter Hektiker frißt und verdaut eine halbe Stunde vor seinem Sterben. – Daher hat deine gelbe Herbstfarbengebung, deine fleischlose Knochen-Versteinerung, dein aufhörender Puls, sogar deine Ohnmachten haben – nichts zu sagen, mein lieber Paul.«
»Ei! den Henker!« sagte der Patient.
»Denn«, sagte der Doktor, »da alles durch Nerven, wovon oft Gelehrte nicht einmal die Definition wissen, worunter ich gehöre, ausgeführet wird: so müssen die periodischen und wandernden, aber flüchtigen Krämpfe und Ermattungen der Nerven nach und nach die ganze Semiotik durchlaufen, aber nicht die ganze Pathologie. Jetzt tritt mein zweiter Paragraph in der umgoldeten Disputation hervor.« –
»Wo war denn der erste?« fragt’ ich.
»Schon da gewesen! Daher wirft der zweite alle Arzneigläser auf die Gasse, bläset alle Pulver in die Luft, legt mit Bannstrahlen alle verdammte Magen-Arzneien in Asche, gießet sogar warme und oft kalte Badewannen aus und schiebt Kämpfs Klistier-Maschinen weit unter das Krankenbett und tobt sehr…. Denn die Nerven werden so wenig in einer Woche (es sei die beste Eisenkur da) gestärkt, als in einer Woche (es sei die größte Ausschweifung da) entmannt; ihre Stärke kehret mit so langsamen Schritten zurück, als sie sich entfernte. Die Arzneien müssen sich also in Speisen und – da dieses schadet – mithin die Speisen sich in Arzneien verwandeln.«
»Ich esse vom Wenigsten.«
»Das ist die unangenehmste Unmäßigkeit; und der Magen treibt alsdann nach seinen Kräften eine Art von Skeptizismus oder Fohismus oder doch Apathie. Kehre lieber die literarische Regel (multum, non multa) um und esse vielerlei , aber nicht viel . Die Diätetik hat in Essen, Trinken, Schlafen etc. nichts über die Art , aber alles über den Grad zu befehlen. Höchstens hat jeder seinen eignen Regenbogen, seinen eignen Glauben, seinen eignen Magen und seine eigne – Diätetik. Und doch ist das alles nicht mein dritter Doktoranden-Paragraph, sondern erst dieses: bloß Bewegung des Körpers ist erster Unterarzt gegen Hypochondrie; – und – da ich schon Hypochondrie und Bewegung vereinigt im beweglichen tiers état gesehen –
Weitere Kostenlose Bücher