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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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geschrieben und gab es ihm heute beim Abschied. Der frohe Tag, der frohe Abend, die himmlische Nacht füllte ihre Augen mit tausend Seelen und mit zwei Tränen, die stehen blieben. Sie deckte und trocknete das eine Auge mit dem weißen Tuche und sah Gustav mit dem zweiten rein und strömend an wie ein Spiegelbild…. Du gute Seele dachtest, du verbärgest auch das zweite Auge! –
    Endlich – o du ewiges unaufhörliches Endlich! – brach auch unsere silberne Wellen-Fahrt an ihrem Ufer. Das gegenüberliegende lag öde und überschattet dort. Ottomar riß sich in der wehmütigsten Begeisterung los, und unter dem Verklingen der Schweizer-Töne sagte mein erneuerter Freund: »Es ist wieder vorüber – alle Töne verhallen – alle Wellen versinken – die schönsten Stunden schlagen aus, und das Leben verrinnt – Es gibt doch gar nichts, du weiter Himmel über uns, was uns füllet oder beglückt! – Lebt wohl! ich werde von euch Abschied nehmen auf meinem ganzen Weg hindurch.«
    Die Alpen-Echos klangen in die weite Nacht zurück und fielen zu einem tönenden Hauche, der nicht der Erinnerung aus der Jugend, sondern aus der tiefen Kindheit glich. Wir schwankten, ausgefüllt vom Genuß, durch tauende Gesträuche und umgebückte schlaf- und tautrunkne Fluren, aus denen wir entschlummerte Blumen rissen, um morgen ihre zugefaltete Schlafgestalt zu sehen. Wir dachten an die sonnenlosen Pfade des heutigen Morgens; wir gingen ohne Laut vor dem zwerghaften Gärtchen und Häuschen vorüber, und die Kinder und die brotbackende Frau wurden von den Todesarmen des Schlummers gedrückt und umflochten. Die Zeit hatte den Mond, wie einen Sisyphusstein, auf den Gipfel des Himmels gewälzet und ließ ihn wieder sinken. In Osten stiegen Sterne, in Westen sanken Sterne, mitten im Himmel zersprangen kleine von der Erde abgesandte Sternchen – aber die Ewigkeit stand stumm und groß neben Gott und alles verging vor ihr und alles entstand vor ihm. Das Feld des Lebens und der Unendlichkeit hing nahe und tief über uns, wie ein Blitz, herein, und alles Große, alles Überirdische, alle Verstorbne und alle Engel hoben unsern Geist in ihren blauen Kreis und sanken ihm entgegen….
    Wir traten endlich, ich an der Hand meiner Schwester, Gustav an Beatens Hand, stiller, voller, heiliger in unser kleines Lilienbad, als wir es am Morgen verlassen hatten. Gustav schied zuerst von mir und sagte: »In fünf Tagen sehen wir uns wieder.« Beaten führt’ er ihrer Hütte zu, die in Lunens Silberflammen loderte. Die weiße Spitze der Pyramide auf dem Eremitenberge schimmerte tief entfernt über den langen grünenden Weg zum Tal und durch die Nacht herüber. – Neben dieser Pyramide hatten sich die zwei Glücklichen ihre Herzen zuerst gegeben, neben ihr ruhte ein Freund von seinem Leben aus, und ihre weiße Spitze zeigte den Ort, wo sein Frühling schöner ist. – Sie hörten die Blätter der Terrasse lispeln und den Lebensbaum, unter welchem sie nach dem Untergang der Sonne sich zum zweiten Mal ihre Seelen gegeben hatten…. O ihr zwei Überseligen und Guten! Jetzo schöpft ein guter Seraph für euch eine Silber-Minute aus dem Freuden-Meere, das in einer schönern Erde liegt – auf diesem eilenden Tropfen blinkt die ganze Perspektive des Edens, worin der Engel ist; die Minute wird zu euch herunterrinnen, aber ach, so schnell wird sie vorübergehen! –
    Beata gab Gustav, als Wink zum Abschied, das begehrte Blatt – er drückte die Hand, aus der es kam, an seinen stillen Mund – er konnte weder Dank noch Lebewohl sagen – er nahm ihre zweite Hand, und alles rief und wiederholte in ihm: »Sie ist ja wieder dein und bleibt es ewig«, und er mußte weinen über seine Seligkeit. Beata sah ihm in sein überströmendes Herz und ihres floß in eine Träne über und sie wußt’ es noch nicht; aber als die Träne des heiligsten Auges auf die Rosenwange glitt und an diesem Rosenblatte mit erzitterndem Schimmer hing – als seine fesselnde und ihre gefesselte Hände sie nicht trocknen konnten – als er mit seinem flammenden Angesicht, mit seiner überseligen zerspringenden Brust die Zähre nehmen wollte und sich nach dem Schönsten auf der Erde wie eine Entzückung nach der Tugend neigte und mit seinem Gesicht das ihrige berührte: dann führte der Engel, der die Erde liebt, die zwei frömmsten Lippen zu einem unauslöschlichen Kusse zusammen – dann versanken alle Bäume, vergingen alle Sonnen, verflogen alle Himmel, und Himmel und Erde hielt Gustav in

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