Saemtliche Werke von Jean Paul
und arbeitet für die andre Welt, und die Sterblichen stehen da mit nassen, aber stumpfen Augen neben der überirdischen Szene….
»Du guter Vater,« sagte seine Witwe, »wenn dirs jemand vor 43 Jahren hätte sagen sollen, daß man dich am 13 ten Mai, wo deine Achtwochen angingen, hinaustragen würde!« – »Seine Achtwochen«, sagt’ ich, »gehen wieder an, dauern aber länger.«
Als ich um 11 Uhr fortging, war mir die Erde gleichsam heilig, und Tote schienen mir neben mir zu gehen; ich sah auf zum Himmel, als könnt’ ich im endlosen Äther nur in einer Richtung den Gestorbnen suchen; und als ich oben auf dem Berge, wo man nach Auenthal hineinschauet, mich noch einmal nach dem Leidenstheater umsah und als ich unter den rauchenden Häusern bloß das Trauerhaus unbewölket dastehen und den Totengräber oben auf dem Gottesacker das Grab aushauen sah, und als ich das Leichenläuten seinetwegen hörte und daran dachte, wie die Witwe im stummen Kirchturm mit rinnenden Augen das Seil unten reiße: so fühlt’ ich unser aller Nichts und schwur, ein so unbedeutendes Leben zu verachten, zu verdienen und zu genießen. –
Wohl dir, lieber Wutz, daß ich – wenn ich nach Auenthal gehe und dein verrasetes Grab aussuche und mich darüber kümmere, daß die in dein Grab beerdigte Puppe des Nachtschmetterlings mit Flügeln daraus kriecht, daß dein Grab ein Lustlager bohrender Regenwürmer, rückender Schnecken, wirbelnder Ameisen und nagender Räupchen ist, indes du tief unter allen diesen mit unverrücktem Haupte auf deinen Hobelspänen liegst und keine liebkosende Sonne durch deine Bretter und deine mit Leinwand zugeleimten Augen bricht – wohl dir, daß ich dann sagen kann: »Als er noch das Leben hatte, genoß ers fröhlicher wie wir alle.«
Es ist genug, meine Freunde – es ist 12 Uhr, der Monatzeiger sprang auf einen neuen Tag und erinnerte uns an den doppelten Schlaf, an den Schlaf der kurzen und an den Schlaf der langen Nacht….
Ausläuten oder Sieben Letzte Worte an die Leser der Lebensbeschreibung und der Idyll e
Heute wird also meine kleine Rolle, wenigstens für den ersten Auftritt, aus; sobald ich die sieben Worte gar geschrieben habe: so gehen ich und die Leser auseinander. Aber ich trete trauriger weg als sie. Ein Mensch, der den Weg zu einem weiten Ziel vollendet hat, wendet sich an diesem um und sieht unbefriedigt und voll neuer Wünsche über die zurücklaufende Straße hin, die seine schmalen Stunden wegmaß und die er, wie eine Medea, mit Gliedern des Lebens überstreuete. Eh’ es heute Nacht wurde, hab’ ich alle die Papierspäne, die von diesem Buche fielen, eingesargt, aber nicht, wie andre Schreiber, eingeäschert – ich habe zugleich alle Briefe der Freunde, die mir keine neue mehr schreiben können , als Akten der in der Erden-Instanz geschlossenen Prozesse inrotuliert und hingelegt. – So etwas sollte der Mensch stets deponieren und alle Freudenblumen aufkleben, trotz ihrer Vertrocknung, in einem Kräuterbuche; nicht einmal seine alten Fracks, Pikeschen und Bratenröcke (die übrigen Kleiderstücke charakterisieren wenig) sollte er verschenken oder versteigern, sondern hinhenken sollt’ er sie als Hülsen seiner ausgekernten Stunden, als Puppengehäuse der ausgeflognen Freuden, als Gewandfall oder tote Hand, die der Erinnerung heimfällt von den gestorbenen Jahren….
– – Sobald ich heute am Tage, der so lang war als dieses Buch, mit dieser Leichenbestattung fertig war: so ging ich in die Nacht heraus, die so kurz ist wie die des Lebens… und hier steh’ ich unter dem Himmel und fühl’ es wieder wie allemal, daß jede überstiegne Treppe hienieden sich zur Staffel einer höhern verkürzt und daß jeder erkletterte Thron zum Fußschemel eines neuen einschrumpft. – Die Menschen bewohnen und bewegen das große Tretrad des Schicksals und glauben darin, sie steigen , wenn sie gehen …. Warum will ich schon wieder ein neues Buch schreiben und in diesem die Ruhe erwarten, die ich im alten nicht fand? – – Ein buschichter Felsen, der sich über einen Steinbruch bückt, hält mich hier mit meiner Schreibtafel, in der ich dieses Buch zu Ende führen will, in der Nacht des Junius empor, den die Maler, wie den Tod, mit einer Sense malen. – – Es ist über 11 Uhr; auf dem erloschnen blauen Himmels-Ozean über mir glimmt nur hier und da ein zitterndes Pünktchen – der Arkturus wirft aus Westen seine kleinen Blitze auf seine Erden und auf meine – der große Bär
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