Saemtliche Werke von Jean Paul
den Horizont. – Ich stehe noch hier auf meiner blumichten Erde und denke: noch trägst du auf deinen Blumen, alte gute Erde, deine Menschenkinder an die Sonne, wie die Mutter den Säugling ans Licht – noch bist du ganz von deinen Kindern umschlungen, behangen, bedeckt, und indes Geflügel auf deinen Schultern flattert, Tiermassen um deine Füße schreiten, geflügelte Goldpunkte um deine Locken schweifen, führest du das aufgerichtete hohe Menschengeschlecht an deiner Hand durch den Himmel, zeigest uns allen deine Morgenröten, deine Blumen und das ganze lichtervolle Haus des unendlichen Vaters und erzählest deinen Kindern von ihm, die ihn noch nicht gesehen haben. – – Aber, gute Mutter Erde, es wird ein Jahrtausend aufgehen, wo alle deine Kinder dir werden gestorben sein, wo der feurige Sonnen-Strudel dich in zu nahe verzehrende Kreise an sich wird gewirbelt haben: dann wirst du, verwaiset, mit Stummen im Schoß, mit Todesasche bestreuet, öde und stumm um deine Sonne ziehen, es wird das Morgenrot kommen, es wird der Abendstern schimmern, aber die Menschen alle werden tief schlafen auf deinen vier Welt-Armen und nichts mehr sehen…. Alle werden es? – Ach, dann lege eine höhere tröstende Hand unserem Mitbruder, der zuletzt entschläft, den letzten Schleier ohne Zögern über das einsame Auge….
…. Das Abendrot schimmert schon in Norden – auch in meiner Seele ist die Sonne hinunter und am Rande zucket rotes Licht und mein Ich wird finster – die Welt vor mir liegt in einem festen Schlafe und hört und redet nicht – es setzet sich in mir zusammen eine bleiche Welt aus Totengebeinen – die alten Stunden stäuben sich ab, es brauset, wie wenn an den Grenzen der Erde eine Vernichtung anfinge und ich herüberhörte das Zerbrechen einer Sonne – der Strom stockt und alles ist stille – ein schwarzer Regenbogen krümmt sich aus Gewittern zusammen über diese hülflose Erde.
– – Siehe! es tritt eine Gestalt unter den schwarzen Bogen, es schreitet über die Junius-Blumen ungehört ein unermeßliches Skelett und geht zu meinem Berge heran – es verschlingt Sonnen, erquetscht Erden, tritt einen Mond aus und ragt hoch hinein in das Nichts – das hohe weiße Gebein durchschneidet die Nacht, hält zwei Menschen an den Händen, blickt mich an und sagt: »Ich bin der Tod – ich habe an jeder Hand einen Freund von dir, aber sie sind unkenntlich.«
Mein Mund lag auf die Erde gestürzt, mein Herz schwamm im Gifte des Todes – aber ich hörte noch sterbend ihn reden.
»Ich töte dich jetzt auch, du hast meinen Namen oft genennt und ich habe dich gehört – ich habe schon eine Ewigkeit zerbröckelt und greife in alle Welten hinein und erdrücke; ich steige aus den Sonnen in euren dumpfen, finstern Winkel nieder, wo der Menschen-Salpeter anschießet, und streich’ ihn ab…. Lebst du noch, Sterblicher?«….
Da zerging mein verblutetes Herz in eine Träne über die Qualen des Menschen – ich richtete mich gebrochen auf und schauete nicht auf dieses Skelett und auf das, was es führte – ich blickte auf zu dem Sirius und rief mit der letzten Angst: »Verhüllter Vater, lässest du mich vernichten? Sind diese auch vernichtet? Endigt das gequälte Leben in eine Zerschmetterung? Ach, konnten die Herzen, die zertrümmert werden, dich nur so kurz lieben?«
Siehe! da entfiel droben dem nachtblauen Himmel ein heller Tropfe, so groß wie eine Träne, und sank wachsend neben einer Welt nach der andern vorbei – Als er groß und mit tausend Farbenblitzen durch den schwarzen Bogen drang: so grünte und blühte dieser wie ein Regenbogen und unter ihm waren keine Gestalten mehr – und als der Tropfen groß-glimmend wie eine Sonne auf fünf Blumen lag: so überfloß ein irrendes Feuer die grüne Fläche und erhellete einen schwarzen Flor, der ungesehen die Erde umfasset hatte. Der Flor zog sich schwellend auf zu einem unendlichen Zelte und riß von der Welt ab und fiel zu einem Leichenschleier zusammen und blieb in einem Grabe. – Da ward die Erde ein tagender Himmel, aus den Sternen stäubte ein warmer Regen von lichten Pünktchen nieder, am Horizont standen weiße Säulen aufgepflanzt – von Westen her walleten kleine Wolken herüber, perlen-hell, grünlich-spielend, rot-glühend, und auf jeder Wolke schlief ein Jüngling und sein Atem-Zephyr spielte mit dem rinnenden Dufte wie mit weichen Blüten und wiegte seine Wolke – die Wogen eines lauen Abendwindes spülten an die Wolken an und führten sie. –
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