Saemtliche Werke von Jean Paul
Schweizerberge, stehen, und den Rhein mit seinen Schiffen ziehen. Am Turm waren zwei von der Natur ineinander gewundne Lindenbäume hinaufgestiegen, um oben mit ihrem Gesträuche, das man zu einer grünen Nische ausgehöhlet und mit einer Grasbank unterbauet hatte, zuweilen einen gerührten Eiländer zu fächeln. Das liebende Personale erstieg die Zinne und brachte in der ländlichen Brust eine Ruhe mit, die darin sanft den äußern stillen Himmel nachmalte, der diese Guten mit seinen verhüllten Sonnen umzog. Noch eine Wolke glühte sich ab, aber sie zerfloß, ehe sie ausbrannte.
Jetzt konnten die Supplementbände der allgemeinen Welthistorie von St. Lüne bequem nachgeliefert werden. Eymann konnte seine Foliobände gravaminum (Beschwerden) über die Konsistorialräte und Ratten einreichen. Auf einmal wurde unten Agathe wie ihre heilige Namenbase angerufen vom Blasbalgtreter loci, der Dorfs-Lehnlakai und Pfarrkutscher war. Wenn einige Autores sagen, der Kutscher war blind und der Gaul taub: so kehren sie die Sache gerade um. Der Kerl war taub. Er hatte in seinem mouchoir de Venus – das Schnupftuch ist beim Pöbel die Brieftasche und der Briefumschlag, weil ihm ein Brief so wichtig und selten ist wie einem Rezensenten ein guter – heute eine Briefschaft an Agathen ausgekundschaftet und ausgewickelt, die er gestern mit des Lords seiner hätte abgeben sollen. Aber Kutscher halten den Herrn nur für die Nebensonne und Nebenpartie des Pferds, und die Frau gar nur für ein Schmarotzer-Gewächs des Stalls; daher bedeutet »Gleich!« bei ihnen ein oder ein paar Tage; und »morgen vormittags« bedeutete auf dem Regensburger Ansagzettel der Abstimmgegenstände ein oder ein paar Jahre. – Agathe eilte lieber hinunter, hielt den Brief gegen die lichtere Abendgegend und entzifferte etwas, was sie mit funkelnden Augen im Galopp die Treppe hinauftrug. »Sie kommt morgen!« rief sie auf Flamin zu; denn sie schien in jedem ihrer Freunde beinahe nur den Gesellschafter und den Freund ihrer andern Freunde zu lieben. Klotilde (Le Bauts einzige Tochter von der ersten Frau, der Niece des Lords) ging nämlich aus dem Fräuleinstift in Maienthal , wo sie erzogen worden, zum Vater zurück.
»Nehmen Sie sich in acht,« sagte die Kaplänin, »sie ist sehr schön.« – »Dann«, sagt’ er, »denk’ ich vielmehr darauf, mich nicht in acht zu nehmen.« – »Überhaupt« (fuhr sie fort) »sammelt sich jetzt alles Schöne um Sie« (er wollte sie hier durch einen schmeichelnden Blick verwirren und abstrafen, aber vergeblich) – »die italienische Prinzessin kommt zu Johannis auch, und diese soll so reizend sein, als wenn sie gar keine Prinzessin wäre, sondern nur eine Italienerin.« Sie tat hier den meisten Prinzessinnen unrecht; aber eine gewisse Ironie über ihr eignes Geschlecht war der einzige Fehler der Kaplänin, für die es wie für mehre Mütter beinahe keine Stiefsöhne und beinahe nichts als Stieftöchter gab. Er erwiderte, er hoffe, daß noch wenige Prinzessinnen, selbst in Amerika, kopuliert worden, in die er sich nicht vollständig verschossen hätte – und das bloß aus Mitleid mit so einem armen zarten Tierchen oder Wappentiere, das unter die Siegelpresse und dann auf die Verträge gedruckt werde, welche oft die einzigen Kinder dieser Ehen wären – »die jungen Landesmütter stehen wahrlich wie Bienenmütter in ihrem Weiselgefängnis feil und passen ab, in welchen Korb sie der Landes- oder Bienenvater noch heuer verhandle.«
Eine Frau kanns von einem Mann, den sie hochachtet, gar nicht begreifen, daß er sich verliebt, wenns nicht in sie ist, und sie kanns kaum erwarten, bis sie seine Geliebte zu Gesichte bekömmt – ebenso erpicht ist sie auf dieses Mannes Manier in seiner Liebe, ob sie nämlich aus der niederländischen oder aus der französischen oder der italienischen Schule her sei. Die Kaplänin fragte ihren vertraulichen Gast auch darüber. »Mein Harem«, fing er an, »langt von dieser Warte bis zum Kap und um die ganze Erdkugel herum – Salomo ist nur ein gelber Strohwitwer gegen mich – ich habe sogar seine Weiber darin, und von der Eva an mit ihrem Sodoms-Borsdorfer-Apfel bis zur neuesten Eva mit einem Reichsapfel und bis zur Marquise mit einem bloßen Fruchtstück sind sie alle in meiner Haft und Brust.« Eine Frau entschuldigt die Achtung für ihr Geschlecht damit, daß sie mit darin ist; die Weiber selber haben nicht einmal einen Begriff von den Eigenheiten ihres Geschlechts. »Was sagt aber die
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