Saemtliche Werke von Jean Paul
deines gestanden – außer heute, wiewohl in deinen gefrornen Augen der schwarze Star des Todes ist. In vielen Jahren bist du nicht so bald zu Bette gegangen und so wenig durch Schenkwirte gestört worden außer heute, an deinem längsten Rasttage. Und dieses einzigemal, Alter, legst du dich nicht hungrig nieder und stehst nicht hungrig auf…. Oberseeser! ist einer unter euch zähe und mühsam zu rühren: so folg’ er mir jetzt nach, wie ich neben dem alten Zaus nur einen Tag hergebe, weil ich seine Leiden, seine Mücken- und Sonnenstiche zählen will.
Wir wundern uns schon über das matte, gedehnte Erwachen des armen Mannes im Hirtenhause: es ist ihm nicht recht, daß die ruhige Nacht so hurtig abgelaufen ist, in der er nicht marschieren und nicht singen durfte; und müder als der Gemeinbote, hilft er sich aus dem Hirtenhause heraus, und draußen steht ein breiter, langer Tag vor ihm, der ihm nichts gibt und verspricht als das alte schmale Botenlohn von einem Heller vor jeder Haustüre. Auf etwas Neues, Sonderliches kann er sich nicht spitzen: ein Bettler, ihr Leute, hat weder Ostern noch Pfingsten, noch Sonntage, noch Marientage, noch Markttage in der Stadt – 365 Werkel- und Jammertage hat er in seinem bittern Leben und wahrlich nicht eine Stunde mehr… Ihnen, Herr Amtsrichter, Herr Adjunktus, brauchts als Gelehrten nie gesagt zu werden, daß nichts fataler ist beim Aufwachen, als wenn ein Alltags-Tag, ein ausgeleerter, prosaischer, tausendmal gefolgter oder gestürzter Treberntag vor der Bettlade steht und uns empfangen will. –
Wir wollen wieder hinter Zausen hersein: außerordentlich muß er laufen, zumal wenn ihn hungert, um nur ein Dorf zu erlaufen. Auf jedem Berge verspricht er sich, in eines hinabzuschauen; aber wie müde knickt er den Berg herunter, wenn er nichts gesehen als einen neuen, ebenso hohen! Er watet durch Kornfelder und nasse Wiesen hindurch, worin man ihn kaum sehen kann; aber der Segen Gottes gibt ihm schlechte Freude – er hat nichts davon, er darf daran nicht einmal helfen mähen, er geht in seinem Leben nicht wieder durch. Endlich lauft er in einem ritterschaftlichen Dorfe ein, wo Kirmes ist: überall riecht und raucht das beste Essen. Was hilft es ihm, wenn er unter lauter Tischgebeten herumgehen muß und an keinem mitbeten darf? Er faltet den Brandbrief, der wie sein Herz schon tausendmal zusammengebrochen worden, wieder auf und weiset ihn vor; aber das lustigste Kirmesgesicht setzt er durch seinen Brief plötzlich in ein verdrießliches um, und wie will er anders? Aber darnach fragt er auch nichts mehr, er fragt, seitdem er den Bettelstab statt des Fäustels ergriffen, nach der ganzen Welt nichts mehr – denn die ganze Welt fragt nach ihm nichts mehr, wiewohl sein braunes Hündchen christlicher denkt und auszunehmen ist. – Die ganze Welt soll ihn schimpfen und lästern, es tut ihm gar nicht wehe, er wird nichts mehr auf der Erde, so wenig wie euer Vieh kann er etwan ein Zweispänner oder gar ein Vierspänner, geschweige ein Schultheiß werden, eines Schulmeisters gar nicht zu gedenken. Ihr wollt alle haben, daß man eurer gedenke; er aber verlangt nichts, als daß man seiner vergesse. O du guter, jammervoller Mann! Seht, wir stehen jetzt alle um ihn; aber wenn dieser Tote in dieser Minute sich vor uns aufrichtete, so würde er nichts tun, als die welke braune Hand ausstrecken und sagen: ›Teilt einem armen Abgebrannten auch was mit!‹ und er würde uns drei Herren zuerst anbetteln. Ich würd’ ihm von ganzem Herzen etwas geben: leerer Toter! wer könnte das metallne, eiserne Herz haben und einen eisernen Brief aufschlagen und ihn doch leer zurückgeben und dir die kleinste Freude versalzen, die auf der ganzen Erde nur möglich ist, die über eine Gabe? – Wer unter uns? Ach Gott! was hat denn der Bettler auf unsrer reichen, vollen Erde? Viel tausend Wunden und tausend Zähren und nur einen Heller. O wenn du aufwachtest, Alter, würdest du nicht in der Menschengestalt vor uns stehen, mit dem Magen, mit dem Herzen, mit dem Jammer eines Menschen? – Und verdienen wir etwas Bessers als du, mehr unsre großen Gaben als du die kleinste ? O! was könntest du getan haben, daß du keinen Bergknappen hast, der mit dir einen Krug Bier trinkt, keine Frau, die dich pflegt und dich fragt, was dir fehlt, keine Kinder, die deine Finger spielend anfassen und dich sanft an ihren kleinen Busen hinunterziehen, sondern nur andre Kinder, die eher nach dem alten Manne boshaft werfen! –
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