Saemtliche Werke von Jean Paul
sich verfangen hatten und die dann auf dem Umweg über die fränkischen Könige auf die Bildung des deutschen Lebens einwirkte. Wenn Luther das Joch Roms abzuschütteln bemüht war, so brach in ihm eine volkhafte Bewegung aus deutschem Boden hervor; aber als Vorläufer der Aufklärung wiederum ersetzte er nur das Rom der Päpste durch das Rom seiner Kaiser und bereitete in Deutschland die Herrschaft der Vernunft, der mythoslosen ratio einer überalterten Zivilisation vor. Katholische Kirche und rationalistische Zivilisation, beide umklammerten als romanisch-lateinisches Erbe das deutsche Wesen, wenn nach einem fast tausendjährigen Überbauen durch romanische Begriffe von Kultur, Kirche, Staat, Recht überhaupt noch von einem deutschen Wesen die Rede sein konnte.
Aber trotz allem war es da. Freilich nicht repräsentiert durch die Dynastien der kleinen Territorien, die nach dem Pariser Vorbild sich richteten, und nicht einmal durch die Führer der geistigen Oberschicht, die in den Anschauungen einer rationalistischen Zivilisation befangen waren und die Sache der Aufklärung zur ihrigen machten. Es war da in den von der Latinität und ihren Auswirkungen noch unberührten Schichten, in dem gemeinen Volk, und darin vor allem in jenen Ländern, die noch im Bann der lutherischen Befreiungstat standen. Was aus diesen Schichten im zusammenstürzenden Mittelalter als Ruf nach einem deutschen Kaisertum immer wieder hervorbrach, nach einem starken Kaisertum gegen die Gewalt und Willkür der Territorialherren, das war die Sehnsucht nach deutscher Einheit und Auswirkung deutscher Wesenheit, das Verlangen nach einer deutschen Kultur, die die fremden Bildungs- und Begriffsschichten abwarf und aus der deutschen Erde und deutschen Eigenart emporwuchs.
Aus den von der Latinität unberührten Schichten allein also konnte das Ringen um die deutsche Form kommen. Entsprechend der geistigen Lagerung setzte im fernen Preußen diese Bewegung ein. Kant, von allen am meisten mit dem Rationalismus verwachsen, wurde dennoch sein Zermalmer. Hamann, durch die Erschütterung seines Londoner Aufenthalts aufgerüttelt aus dem zivilisatorischen Handelsgeist, der ihn in Riga umfangen hatte, stellte der Aufklärung die Innerlichkeit und Intensität seines religiösen Gefühls entgegen. Herder stieg zu den Quellen der Geschichte nieder und zeigte die historischen Formen als nicht aus der Vernunft, sondern aus der Seele der Völker erwachsen auf. In diesen Vertretern des Ostens fand die aus dem Herzen Deutschlands und aus bisher unberührten Schichten aufsteigende neue Generation ihre Wegbahner. Um nur Württemberg zu nennen: Schiller, zur ehernen Dichterposaune der kantischen Philosophie berufen, ging als erster voran. Hegel, Hölderlin (beide 1770 geboren) und Schelling (1775) folgten ihm. Unter der Berührung mit den geistigen Mächten der Zeit wuchsen die Söhne der von der römischen Kirche wie von der Aufklärung abseits liegenden protestantischen Länder in den deutschen Geist ein, nachdem Gestalten wie Schubart oder, in Sachsen, Günther den Boden gelockert hatten. Die einzige Tradition, deren sie teilhaftig waren, war Luthers Ringen um die deutsche Form gewesen, und dieses Ringen fand nun in der folgenden Periode des deutschen Idealismus und der deutschen Romantik seine Fortsetzung. Hierin wuchsen die ostpreußischen Denker mit den aus dem mittel- und süddeutschen Protestantismus stammenden Denkern und Dichtern zusammen, wie sehr im Verlauf der Entwicklung auch jeder seine eigne Individualität auswirken sollte.
Von den verschiedensten Seiten strömte neues Leben in die deutsche Dichtung ein. Die höchste Vollendung konnte sie in Goethe, dem Sohn der freien Reichsstadt am Main und Erben der germanisch-romanischen Verschmelzung, erreichen. Hier aber war in der vollkommenen Blüte der Sinn einer Entwicklung geschlossen. Das Ringen um die Formwerdung eines neuen Reiches, an oder vor dessen Anfängen wir immer noch stehen, entstieg andern Bezirken. Die großen Ostpreußen gingen voraus und bahnten den kommenden Weg. Die katholischen Länder des Südens blieben abseits. Als aber die über Europa hingehende Welle der Aufklärung die bisher vom Zeitgeist unberührten Schichten der protestantischen Länder Süd- und Mitteldeutschlands erreichte, da strömten aus unverbrauchtem Volkstum die Begabungen in das deutsche Geistesleben ein und bildeten mit einer Fülle überquellender Werke die neue Front. An Schiller und Hölderlin, Hegel und Schelling
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