Saemtliche Werke von Jean Paul
ihre Bekräftigung. Gegenüber dem Deutschland des Friedens von Osnabrück, diesem Deutschland der Territorialdynastien, des » cujus regio, ejus religio «, hatte sich ein Neues durchsetzen können: ein Königreich der Gewissensfreiheit und mustergültigen Verwaltung. Ein Zentralpunkt der Volksbildung, der rationell durchorganisierten Wirtschaft. Eine Stätte, die die Geister anzog und Mittelpunkt einer neuen Kultur zu sein verhieß; ein zweites Athen, das von den Alten nicht ohne Geschick den klassischen Faltenwurf absah und seinen Parnaß zu bevölkern verstand.
Zwar, noch ehe die Sonne der Aufklärung wenigstens ganz Deutschland überstrahlte, kündigten sich bereits neue Spannungen zwischen der diesseitsfreudigen Gegenwart und einer nahen Zukunft an. Schon 1759 waren Hamanns, des nordischen Magus, »Sokratische Denkwürdigkeiten« erschienen. Kant, der ein Jahr vor Ausbruch des Krieges, gewissermaßen die naturwissenschaftliche Grundlegung der Aufklärung, seine »Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels«, herausgegeben hatte, arbeitete jetzt an seinen »Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen« und näherte sich schon hier in langsamem aber bewußtem Anmarsch dem Kampfplatz, auf dem er der Allherrschaft der Vernunft die vernichtende Niederlage beibringen sollte. In Frankfurt rang ein vierzehnjähriger Knabe mit dem Gretchenerlebnis. In langen Gesprächen ließ der junge Herder von Hamann sich unterweisen. Die ganze vernünftige Weltordnung erschütternd aber war bereits Rousseau am Horizont aufgetaucht und rief sein »Zurück zur Natur!« in die abendländische Zivilisation. Ein Kampfruf, der selbst in Kant eine Revolution hervorrief und dem er gerade in seiner Schrift über das »Gefühl des Erhabenen und Schönen« ein Echo gab.
So lagen schon Spannungen in der Luft, ehe die Aufklärung sich mit Nicolais »Allgemeiner deutscher Bibliothek«
1765 in
Berlin zu langem Bleiben einrichtete. Aber noch nirgends, außer von Hamann, wurden diese Gegensätze als feindliche empfunden, eher als Erweiterung und Bereicherung. Unaufhaltsam schien der Siegeszug der Vernunft und griff schon auf jenes preußenfeindliche oder dem neuen Geist abgekehrte Deutschland über, das seine länger als jahrhundertalten Formen in stumpfer Stetigkeit bewahrte. Hier war allerdings nur langsam und in zähem Ringen Boden zu gewinnen.
Kaum ein größerer Gegensatz als das straff auf Leistung und rationelle Ausnutzung organisierte Preußen und die ganz anders gestimmte Welt etwa der österreichischen Erblande, an deren zäher Beharrlichkeit einige Jahrzehnte später selbst Josephs II. Reformpläne scheitern sollten. Als die Welt der kleinen Duodezfürstentümer mit ihren landständischen Grafen und Herren, die über ihre Bauern wie über Sklaven verfügten, Untertanen noch immer als Kanonenfutter verkauften und nach Willkür Pfarrer, Gerichtshalter und Lehrer vozierten. Wenn in Preußen Pfarrer und Lehrer sich als Träger des Staatswillens und Pioniere der allgemeinen Bildung fühlen konnten, hier waren sie die Ärmsten der Armen, jeder Willkür preisgegeben, einem Schicksal des Hungers und der Demütigungen bestimmt. Wenig wurde die soziale Stellung durch die Zugehörigkeit zu einer der verschiedenen Konfessionen beeinflußt. Das Herrenrecht stand bei Protestanten wie Katholiken an erster Stelle in allen den kleinen Staaten und Fürstentümern, die noch im Schatten des Osnabrücker Friedens lebten. Wohl aber mußte die Konfession dem bloßen Dasein eine verschiedene Färbung geben.
Die katholischen Länder waren immerhin durch ihre Kirche in einen größeren Zusammenhang hineingestellt, die protestantischen aber hatten als Schicksal nur, was ihnen der Umkreis ihres Ländchens davon bot, und das war wenig mehr als bloßes vegetatives Dasein. Je weniger sie in Probleme geistiger und politischer Entwicklung verflochten waren, je weniger sie sich an Fortschrittsideen und sozialen Idealen entzünden konnten, desto näher standen ihnen die Urprobleme des Lebens. Keine Begeisterung oder innere Inanspruchnahme vermochte sie über das Erlebnis des Hungers und der Not, der Liebe oder des Gewissens hinwegzuschnellen. Sie standen in keiner andern Entwicklung als der allgemein menschlichen von der Wiege bis zum Grabe. Geburt und Tod, das waren die Pole ihres äußern und innern Daseins. Sie lebten das Leben der ausgelieferten Kreatur, hingegeben dem Wechsel der Jahreszeiten, des Mißwachses oder der gerüttelten Ernte,
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