Saemtliche Werke von Jean Paul
gerade dazu das Scharbock- oder Löffelkraut und die Zitterpappel in Blüte traten, desgleichen der Ackerährenpreis oder Hühnerbißdarm, nämlich am 21. März; – und zwar in der frühesten frischesten Tagzeit, nämlich am Morgen um eineinhalb Uhr; was aber alles krönt, war, daß der Anfang seines Lebens zugleich der des damaligen Lenzes war.« Der 21. März blieb für den Dichter zeitlebens ein Tag symbolischer Bedeutung, ihm nahte er geheiligt und gereinigt und schrieb ihm eine schicksalwendende Kraft zu. Eine mit dunklen Bedeutungen spielende Mystik, der er sich gern ergab, knüpfte er mit Vorliebe an den Lenzanfang. Man kann sagen, daß sein ganzes Werk eine Apotheose des Frühlings ist, wie fast alle seine Helden im Frühling des Lebens stehen und der Sommerseligkeit zureifen. »So viel ist gewiß,« schrieb er noch im März 1822, »die Tag- und Nachtgleiche, in der ich geboren bin, ist Bild, wenn nicht Grund einer geistigen in mir – Phantasie und Reflexion sind sich ziemlich gleich zugewogen, so vielleicht moralisch gut und böse und zuletzt wohl Schicksale.« Und: »Das einzig Wunderbare, was sich bei meiner Geburt zutrug, war, daß der Tag und die Nacht gleich waren, als Vorspiel meines Doppelstils« (des humoristischen und des heroischen).
So war Jean Paul mit der Natur und einer phantastischen Ausdeutung des Frühlingsanfangs verwachsen. Schon die scherzhaften Sätze über die Flora und Fauna seines Geburtstages zeigen die tiefe Vertrautheit mit allem, was da kreucht und fleucht, und ebenso magisch gebunden wie an das Datum seiner Geburt blieb er an die Stätte seiner ersten Tage. Bevor er zum Selbstbewußtsein erwachte, siedelte die Familie nach Joditz über, wohin der Vater von der Freifrau von Plotho in Zedtwitz, geborne Bodenhausen, als Pfarrer voziert war.
Joditz, ein kleines Dorf an der Saale, zwei Meilen von Hof entfernt, nahm nun den allmählich zum Bewußtsein Erwachenden auf, um ihn bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr zu beherbergen. »Die Saale, gleich mir am Fichtelgebirge entsprungen, war mir bis dahin nachgelaufen… Der Fluß ist das Schönste, wenigstens das Längste von Joditz, und läuft um dasselbe an einer Berghöhe vorüber, das Örtchen selber aber durchschneidet ein kleiner Bach mit seinem Stege kreuzweise. Ein gewöhnliches Schloß und Pfarrhaus möchten das Bedeutendste von Gebäuden da sein. Die Umgegend ist nicht über zweimal größer als das Dörfchen, wenn man nicht steigt.« Mit diesen wenigen Strichen zeichnet Jean Paul den Ort, der ihm eine Welt umschloß und in dem sein Leben wie sein Schaffen bis an sein Ende wurzeln sollte. Kaum eines seiner Werke, das nicht die Joditzer Kindheit zum Ausgangspunkt hätte. Unauslöschlich bleiben die Dorferinnerungen in seinem Gemüt haften. Weder Leipzig noch Berlin noch sonst ein Ort der großen Welt hat ihm geben können, was das einsame Dorf im Fichtelgebirge ihm gab.
»Lasse sich doch kein Dichter in einer Hauptstadt gebären und erziehen,« schreibt er in seiner Selbstbiographie, »sondern wo möglich, in einem Dorfe, höchstens in einem Städtchen.« Nachdem er von den kalten Zonen ungekannter und ungeliebter Menschen in der Stadt gesprochen, fährt er fort: »Aber im Dorfe liebt man das ganze Dorf und kein Säugling wird da begraben, ohne daß jeder dessen Namen und Krankheit und Trauer weiß; die Joditzer haben sich alle ineinander hineingewohnt und hineingewöhnt; – und dieses herrliche Teilnehmen an jedem, der wie ein Mensch aussieht, . . . brütet eine verdichtete Menschenliebe aus, und die rechte Schlagkraft des Herzens. – Und dann, wenn der Dichter aus seinem Dorfe wandert, bringt er jedem, der ihm begegnet, ein Stückchen Herz mit, und er muß weit reisen, eh’ er endlich damit auf den Straßen und Gassen das ganze Herz ausgegeben hat.« Die verdichtete Menschenliebe hat das Dorf ihm in der Tat mitgegeben, und er selber ist der Dichter, der aus seinem Dorfe wanderte und jedem ein Stückchen Herz mitbrachte. Nicht allein denen, die ihm begegneten, sondern allen seinen Tausenden von Lesern, denen er sich in bewußter und seliger Offenbarung, in einer Art edelster Schamlosigkeit hingab.
In seiner Selbstbiographie hat Jean Paul die Schwere seiner Kindheit, wahrscheinlich aus Ehrfurcht vor der geheiligten Gestalt seines Vaters, gemildert und durchsonnt. Nur im Werk kann man hier und dort durch die Dichtung die Wahrheit hindurchahnen, und viel von der Bitterkeit, mit der Vult in den »Flegeljahren« von seinen
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