Saemtliche Werke von Jean Paul
Gewissenhaftigkeit verbot ihm, sich auf seine Improvisationsgabe zu verlassen.) Die drei Söhne »Fritz (das bin ich selbst) und Adam und Gottlieb (denn Heinrich kam erst gegen das Ende des Joditzer Idyllenlebens dazu) trugen abwechselnd die volle Kaffeetasse zu ihm, um noch froher die leere zurückzuholen, weil der Träger aus ihr die ungeschmolzenen Reste des gegen Husten genossenen Kandiszucker frei aus ihr nehmen durfte. Draußen deckte zwar der Himmel alles mit Stille zu, den Bach, durch Eis, das Dorf mit Schnee; aber in der Wohnstube war Leben, unter dem Ofen ein Taubenschlag, an den Fenstern Zeisige- und Stieglitzenhäuser, auf dem Boden die unbändige Bullenbeißerin, unsere Bonne, der Nachtwächter des Pfarrhofs, und ein Spitzhund, und der artige Scharmantel, ein Geschenk der Frau von Plotho, – und darneben die Gesindestube mit zwei Mägden; und weiter gegen das andre Ende des Pfarrhauses der Stall mit allem möglichen Rind-, Schwein- und Federvieh und dessen Geschrei; unsere auch vom Pfarrhofe umschlossene Drescher könnt’ ich mit ihren Flegeln auch rechnen. So von lauter Gesellschaft umgeben, brachte nun leicht der ganze männliche Teil der Wohnstube den Vormittag mit Auswendiglernen zu, nahe neben dem weiblichen Kochen.«
Ein sinnvoller Lebenskreis rundet sich hier um den jungen Betrachter, dem die Vertrautheit mit dem Alltag, seinem Gerät und seinen Gewohnheiten eine unschätzbare Mitgift des elterlichen Pfarrhauses war.
Wenn die Dämmerung sank, schloß sich der Kreis noch enger zusammen. Der Vater ging auf und ab, »und die Kinder trabten unter seinem Schlafrock nach Vermögen an seinen Händen.« Unter dem Gebetläuten wurde ein Lied gesungen. »Die Abendglocke ist gleichsam der Dämpfer der überlauten Herzen und ruft, als der Kuhreigen der Ebene, die Menschen von ihren Läufen und Mühen in das Land der Stille und des Traums.« Die Fensterläden wurden geschlossen und von der Gesindestube her kam der erwartete »Mondaufgang« des Talglichts. Während der Vater an seinen Partituren arbeitete, saßen die Kinder spielend am langen Schreib- und Eßtisch, ja sogar auch unter ihm. »Unter die Freuden, welche auf immer der schönen Kinderzeit nachsinken, gehört auch die, daß zuweilen ein so grimmiges Frostwetter eintrat, daß der lange Tisch der Wärme wegen an die Ofenbank geschoben wurde; und wir lauerten den ganzen Winter über auf dies frohe Ereignis.« Von Zeit zu Zeit kam die alte Botenfrau, mit Schnee behangen, mit ihrem Frucht- und Fleisch- und Warenkorbe in die Gesindestube, und vor den kleinen Augen breitete sich im Auszug einiger Butterwecken aller Reichtum und Glanz der fernen Stadt. Oder die Viehmagd erzählte am Spinnrocken in der Gesindestube beim Licht des Kienspans Märchen und Schauergeschichten, die auf den reizbaren Knaben tiefen Eindruck machten, so daß er klappernd vor Frost und Angst im Bett lag, bis der Vater, mit dem er das Bett teilte, zur Ruhe ging. Oder auch in der Kirche, wenn er dem Vater die Bibel in die Sakristei nachtrug, lag die nachstürzende Geisterwelt auf seinem Nacken, und in grausigen Fluchtsprüngen suchte er die Tür der schützenden Sakristei zu erreichen.
Diese enge Nachbarschaft alles Lebendigen, dieses Versammeltsein von Hunden und Vögeln in der menschlichen Stube, dieses Schlafen im gleichen Bett, will uns heute unappetitlich und unhygienisch erscheinen. Aber um die bessere Hygiene tauschten wir doch das Glück der warmen Hautberührung und die kreatürliche Zusammengehörigkeit, die damals Gemeinbesitz war. Seit ein jedes Familienmitglied Anspruch auf sein gesondertes Arbeitszimmer erhebt, ist einer der tiefsten Schachte menschlichen Glücks ausgelaufen. Wer noch, aus unteren Schichten emporsteigend, daran Teil hatte wie Jean Paul, nahm seelische Kräfte in sein Leben mit, über die der aus Herren- und Bildungsschichten Stammende nicht mehr verfügt. Darum starb Goethe in verlorener Einsamkeit, Jean Paul aber im Arm der Seinen. Und die Armut, die ihn auch später mit Mutter und Brüdern in ein Zimmer pferchte, ließ ihn doch nie bis zur Verzweiflung unglücklich werden, weil er den Reichtum menschlicher Nähe auszukosten verstand. –
Wie eine Befreiung wirkte nach der winterlichen Abgeschlossenheit der anbrechende Frühling. »Was das heißt, auf einmal nicht nur aus Stadtmauern, welche viel Feld umschließen, sondern aus Hofmauern, und zwar sogar über das ganze Dorf, hinwegzukommen in mauerfreie Bezirke hinaus und in das Dorf von oben zu
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