Saemtliche Werke von Jean Paul
Vorteil, da am Innern nicht viel ist, und das Studium des Scheins verringert das Sein; so sah ich oft im Walde Hasen liegen, an denen kein Lot Fleisch war und kein Tropfen Fett, weil alles von dem ungeheuern Haarpelz weggesogen war, der nach dem Tode fortgewachsen.
Wenn man den Inhalt des Throns und des platten Pöbel-Landes vergleicht, so scheinet die physikalische und moralische Erhabenheit der Menschen im umgekehrten Verhältnis mit der ihres Bodens zu stehen, so wie die Einwohner der Marschländer größer sind als der Bergländer. Aber gleichwohl tragen jene erhabnen Leute den Staat leicht auf Schmetterlingflügeln, überschauen sein Räderwerk mit dem hundertäugigen Papillon-Auge und beschirmen mit einem Spazierstöckchen das Volk vor Löwen, oder jagen damit die Löwen in dem Volk, wie in Afrika Hirtenkinder mit einer Peitsche naturhistorische Löwen vom Weidevieh abschrecken… Lieber Herr Hofkaplan! diese Satire schmerzte mich schon auf der vorigen Seite; aber man wird hier boshaft, so wie eitel, ohne zu wissen wann, jenes, weil man zu sehr auf andere, dieses, weil man zu sehr auf sich merken muß. Nein! Ihr Garten, Ihre Stube ist schöner; da gibt es keine steinerne Brust, an der man die Arme und Adern der Freundschaft kreuzigt wie ein Spaliergewächs; da muß man sich nicht täglich wie ich zweimal rasieren lassen und dreimal frisieren; da darf man doch seinen gewichsten Stiefel anziehen. Schreiben Sie Ihrem Adoptivsohne bald – denn ich schlage mir das Fest Ihres Besuchs noch ab. – Sind viel Kindtaufen und Leichen? – Was macht der Fuchs und der taube Balgtreter? – Eben wird jetzo der Mörser statt Ihrer Ratten-Trommel unter mir gerührt. – – Leben Sie wohl.
Und Sie grüß’ ich jetzt erst, geliebte Mutter! Meine Hand ist warm, und in meinem Herzen klopfen ein paar Seelen, weil jetzt Ihr Angesicht voll mütterlicher Wärme alle meine satirischen Eisspitzen bescheint und in warmes Blut zerschmelzt, das für Sie schlagen und für Sie fließen will. Wie tut es so wohl, wieder zu lieben! Ihr zweiter Sohn (Flamin) ist gesund, aber zu fleißig, und gegenwärtig in St. Lüne. Grüßen Sie meine Schwestern und alles, was Sie liebt.
Sebastian.«
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Er hob den Brief auf, um den Regierrat, der seine Person mit haben wollte, doch mit einer Fracht abzufertigen.
Indessen wurden seine und Jenners gemeinschaftliche Besuche mit ihren Theaterknoten zu ganz andern Nervenknoten der Freundschaft zwischen Jenner und ihm – und zugleich machten sie den Ruf dieser Freundschaft größer. In St. Lüne, in Le Bauts Hause, wurde dreimal mehr daraus gemacht, als daran war – im Pfarrhause neunmal.
Dazu kam eine Kleinigkeit, nämlich eine Schlägerei – eigentlich zwei. Ich habe den Vorfall vom Spitz, Viktor ihn von Flamin, dieser von Matthieu, in dessen edlem historischen Stil er hier der Nachwelt übergeben werden kann. Der Evangelist schämte sich keines Bürgerlichen, sobald er ihn zum Narren haben konnte. Daher besuchte er den Hofapotheker ohne Bedenken. Diesem, der den Kasernenmedikus Kuhlpepper wegen seiner stolzen Grobheit und wegen der untern Note innig haßte, hatte Matthieu längst versprochen, den Doktor zu stürzen. Da der letzte und das Podagra durch Viktor wirklich von Jenners Füßen vertrieben waren: so ließ der Evangelist dem Apotheker merken, er selber würde ohne dessen Wink und Wünsche weit weniger zum Falle Kuhlpeppers beigetragen haben, als er getan. Zeusel – zumal da er den Nachfahrer des Kasernenmedikus im Hause hatte – kam nach einigen Tagen mit der gewissen Überzeugung aufs Billard, daß er aus seiner Apotheke heraus Kuhlpeppern das unsichtbare Bein untergestellet und ihn von den Thronstufen herabgeworfen. Dort war zum Unglück der Kasernenmedikus selber und der edle Matz. Zeusel kam auf diesem Theater mit den Festons von drei Uhrketten an – mit einem Paar Hosen, auf deren Knien einige Arabesken gedruckt waren – mit einer doppelten Weste, doppelten Halsbinde und im Gesicht mit doppelten Ausrufzeichen über den Kasernenmedikus – seine Geldbörse saß gerade unter dem heiligen Bein, weil er, wie einige Engländer, die Hosentasche in die Gegend der Hosenschnalle hatte verstecken lassen. Er hatte als Kammermohren seinen hagern langen Provisor mit, der im Neben-Trinkzimmer auf den sehr kurzen Provisor der zweiten oder Kanaillen-Apotheke stieß. Der kurze Provisor folgte aus Haß dem langen überall, bloß um ihn zu ärgern; aber diesesmal war er bloß vom Lande
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