Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
Vom Netzwerk:
einer Felderhöhe die Stadt mit zwei Brudertürmen und mit der Saale in der Talebene den begnügsamen kleinen Boten übermäßig überschüttete und ausfüllte. Vor einem Höhleneingang nahe an der Vorstadt, in welchen der Sage nach sich die Höfer im Dreißigjährigen Kriege geflüchtet hatten, ging er mit dem kindlichen Schauer vor allen Kriegen und Marterzeiten vorüber; und die nahe Tuchwalkmühle erweiterte mit ihren fortdauernden Donnerstößen und den unbändigen Maschinenbalken seine Dorfseele weit und groß genug, um die Stadt geräumiger darein aufzunehmen.« Zum erstenmal auf diesen Fahrten packte ihn die Fülle der Welt und die grenzenlose Verlorenheit alles Lebendigen auf ihr. »Noch erinnert er sich eines Sommertages, wo ihn, da er auf der Rückkehr gegen zwei Uhr die sonnigen beglänzten Bergabhänge und die ziehenden Wogen auf den Ährenfeldern und die Laufschatten der Wolken überschaute, ein noch unerlebtes gegenstandsloses Sehnen überfiel, das aus mehr Pein und wenig Lust gemischt und ein Wünschen ohne Erinnern war. Ach es war der ganze Mensch, der sich nach den himmlischen Gütern des Lebens sehnte, die noch unbezeichnet und farbelos im tiefen weiten Dunkel des Herzens lagen und welche sich unter den einfallenden Sonnenstreifen flüchtig erleuchteten. Es gibt eine Zeit der Sehnsucht, wo ihr Gegenstand noch keinen Namen trägt und sie nur sich selber zu nennen vermag.«
    Es war ein Augenblick des inneren Erwachens, wie es ihn wohl um dieselbe Zeit zum erstenmal erschüttert hatte. »Nie vergeß ich die noch keinem Menschen erzählte Erscheinung in mir, wo ich bei der Geburt meines Selbstbewußtseins stand, von der ich Ort und Zeit anzugeben weiß. An einem Vormittag stand ich als ein sehr junges Kind unter der Haustür und sah nach der Holzlege, als auf einmal das innere Gesicht, ich bin ein Ich, wie ein Blitzstrahl vom Himmel vor mich fuhr und seitdem leuchtend stehenblieb: da hatte mein Ich zum ersten Male sich selber gesehen und auf ewig.« Er war in das erschreckende und erhebende Bewußtsein der Individuation eingegangen. –
    Diese Gänge nach der Stadt, die in Zeiten der Not einige Male auch im strengsten Winter zurückgelegt werden mußten, waren »wahre Subsidiengänge«. Die Mutter gab dem Knaben nur einige wenige Geldstücke für die Großeltern mit – »es sollte nicht alles hergeschenkt erscheinen!« –, wofür die Großmutter, »spendend gegen Tochter und Enkel, und nur kargend gegen die übrige Welt, den Quersack mit allem füllte, was etwan auf dem jedesmaligen Küchenzettel stand«. Wenn er dem ernsten langen Großvater hinter seinem Webestuhl die Hand geküßt und den offiziellen Mutterbrief überreicht hatte – »der Vater war zum Bitten zu stolz« –, so gab er das mitgebrachte Geld öffentlich ab und empfing heimlich hinter der Tür auf dem Gang von der Großmutter die reichlichen Gaben und konnte Nachmittags mit vollem Tornister und mit den Zuckermandeln für die geliebte Augustina, höchst erfreut über das elterliche Proviantschiff auf dem Rücken, nach Hause traben.
    Den Höhepunkt der Stadtfreuden bildete aber der Höfer Jahrmarkt, zu dem die Großeltern jedesmal die zarte Tochter mit Fritz in einer Kutsche kommen ließen. »Wie Kaisern sonst Ehrentrünke geschickt wurden, so wurde die Mutter stets mit süßem Wein von ihren Eltern empfangen, und der Sohn ging mit etwas davon im Kopfe zum damaligen Haarkräusler Silberer. Dieser kühlte von außen den Kopf durch Brenneisen ab und durch An- und Umschrauben der Lockenwickel; aber desto frischer, neuer und weißer kam er dann mit Locken und Toupee aus dem Pudergestöber zum Mittagsmahle zurück, das nicht bedeutend sein konnte, weil der Großvater sehr bald auf das Rathaus hinter den Verkauftisch seiner Tücherballen eilen mußte… . Nun wurde der Nachmittag herrlich und aufsichtfrei und übertäubt und überglänzt unter dem bunten und lauten Getümmel der Menschen und Waren verbracht.« Für den von der Großmutter empfangenen Groschen konnte er »alles kaufen«, einiges Eingekaufte in das leere, unheimliche Haus tragen, in dem den Nachmittag über niemand anwesend war, und sich wieder in das bunte Gewühl mischen. Die vornehmsten und schönsten Damen hatte er umsonst an den Fenstern, zeichnete jedoch keine als Favoritin aus, sondern kaufte Zuckermandeln und Rosinen für die viehweidende Augustina in Joditz. Wenn die Lust und der Lärm unter den Abendstrahlen am lautesten wurde, mußte er freilich nach Hause,

Weitere Kostenlose Bücher