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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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Buch vorhanden, das der Lehrer auf der großen Tafel aufstellte. Der Reihe nach mußten sich die einzelnen Primaner zu ihm hinsetzen, um ein Pensum zu übertragen, während die übrigen zwanzig oder dreißig unbeaufsichtigt sich die Zeit mit Unfug vertrieben.
    Die Bevorzugung, die Fritz seitens des Rektors entgegengebracht wurde, mußte natürlich die Mitschüler von Anfang an gegen ihn einnehmen. Er, der in der Einsamkeit aufgewachsen war, fern von gleichaltrigen Gespielen, mit dem eigenartigen Entwicklungsgang eines aus dem Durchschnitt herausfallenden Knaben, mußte auch von seinem ersten Auftreten an befremdend und fast beängstigend auf seine Kameraden wirken, die in Geselligkeit und Stadtluft sich gegenseitig abgeschliffen hatten. Christian Otto schildert den späteren Freund, wie er in einer dorfmäßigen, neuen und doch vernachlässigten Kleidung, mit treuherzig unbefangenem Anstand unter die Primaner getreten sei. Sein freimütiges Entgegenkommen sei für zudringlich gehalten worden, sein in sich gekehrter, auf die äußere Erscheinung unaufmerksamer Sinn habe den Spott herausgefordert, sein begeistert nach oben gerichteter Blick sei ihnen schielend erschienen, und so seien die Mitschüler ihm gleich seine »Hussiten« geworden, wie es Jean Paul im Hinblick auf die Hussitenbelagerung seiner Heimatstadt Wunsiedel nannte.
    Gleich am ersten Unterrichtstage wurde Jean Paul das Opfer der erbarmenslosen Arglist aufgebrachter Jugend. Der ihm gespielte Streich ging dem Knaben um so näher, als er von dem einzigen Primaner ausging, dem er von früher her bekannt war, namens Reinhart. Reinhart redete dem neuen Mitschüler ein, daß jeder neu Eintretende dem französischen Lehrer die Hand zu küssen habe. Arglos, da er an die Sitte des Handkusses von Kindheit auf gewöhnt war, trat Fritz auf den alten Tapetenwirker zu, um die vermeintlich schuldige Pflicht zu erfüllen. Der Sprachmeister, an Spott und Verhöhnung seitens der Schüler gewöhnt, überhäufte den gänzlich Erstaunten mit Haß- und Wutausbrüchen und verließ unter dem Gelächter der Klasse fluchend und tobend die Stube.
    Nicht nur der Mißbrauch seines arglosen Vertrauens traf Fritz ins tiefste Herz, sondern vor allem der Umstand, daß er in den Augen seiner neuen Mitschüler einer kriechenden Demütigung fähig gewesen war. Er hat Reinhart diesen Streich nie vergeben und bis zu seinem Tode jeden Umgang mit ihm gemieden, obwohl sie später in Baireuth zusammen lebten. Ein eigenartiger Zufall wollte es, daß Reinhart, der in Baireuth Prediger wurde, nach Jean Pauls Tode an seinem Grabe die Leichenrede zu halten hatte.
    Anderer Übergriffe erwehrte sich Jean Paul mit leichter Mühe. In jeder Woche mußten zwei der unteren Primaner die diensttuenden Brüder oder die Excurrentes machen, die Stunden ausrufen und das Frühstücksbrot für die ganze Klasse herbeischaffen. Da man den Neuling nur als unteren Primaner anerkennen wollte, obwohl er als mittlerer aufgenommen war, suchte man ihn zu diesem Dienst zu zwingen. Er aber stand stumm und trotzig mit gesenkten und geschlossenen Händen da und weigerte sich, das Geld zum Broteinkauf entgegenzunehmen, so daß schließlich die richtigen Excurrentes ihres Amtes walten mußten. Seine entschlossene Haltung blieb auf die Dauer nicht ohne Wirkung, und allmählich errang er die Achtung und Zuneigung seiner Mitschüler.
    Ein besonderer Vorfall gab ihm sogar die unumstrittene Führerstellung innerhalb der Klasse. Konrektor Rennebaum war auf den Einfall geraten, öffentliche Disputierübungen anzustellen, wobei er sich die Stelle des immer siegreichen Präses vorbehielt, während Primaner die Rollen des Respondenten und des Opponenten erhielten. Fritz war bei einer solchen Disputation Opponent, als eine Thesis aus der Dogmatik zur Diskussion stand. Der Akt sollte nun planmäßig so verlaufen, daß das kirchliche Dogma neugestärkt und bewiesen aus dem Kampf der Meinungen hervorgehe und Präses und Respondent als Sieger über den Opponenten triumphierten. Jean Paul war aber der Meinung, daß man bei Disputierübungen wie bei allem Forschen nach der Wahrheit unbekümmert um das Resultat so lange fortopponieren müsse, als man Gründe anzubringen wisse. Niemand auf der Schule hatte bis dahin eine Ahnung von seinen überragenden theologischen Kenntnissen, die er unter der Anleitung seiner Gönner Völkel und Vogel erworben. Zum ersten Male konnte er nun die Schätze seines heterodoxen Wissens zur Schau stellen, und er tat es

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