Saemtliche Werke von Jean Paul
mit einem sachlichen Eifer, daß er den zur These erhobenen Kirchenartikel in Kürze zu Fall brachte. Der Konrektor wie der als Respondent tätige Primaner waren auf einen derartigen Widerstand bei weitem nicht gefaßt und mit den theologischen Streitfragen nicht annähernd so vertraut wie Jean Paul. Der Respondent war bald zum Schweigen gebracht, und auch der Präses so in die Enge getrieben, daß ihm schließlich nichts übrigblieb, als dem siegreichen Opponenten Schweigen zu gebieten und das Katheder plötzlich und unwillig zu verlassen.
Diese Niederlage des Konrektors wurde von den Primanern als ihr eigener Sieg aufgefaßt, und Jean Paul blieb von da ab von allen Neckereien verschont und galt als das geistige Haupt der ganzen Klasse. Die Angelegenheit hatte aber für ihn noch eine andere Folge: Die öffentliche Meinung der engherzigen und bigotten Höfer brandmarkte den jugendlichen Opponenten als Freigeist und Atheisten und verdammte seine heterodoxen Äußerungen auf das erbittertste. Von da ab blieb Jean Paul für seine Landsleute gezeichnet, und die verunglückte Disputation war der erste Anlaß für die gehässige Geringschätzung, mit der ihm seither von den Höfern begegnet wurde.
Jean Pauls Vater, der sicherlich auf seiten des Konrektors und der Hofer gestanden hätte, erlebte diesen Vorfall nicht mehr. Wenige Wochen, nachdem sein Sohn das Gymnasium bezogen hatte, starb er am 15. April
1779 in
Schwarzenbach. Der Tod enthob ihn den schweren Konflikten mit dem eigenwillig sich entwickelnden Fritz, die jedenfalls nicht lange ausgeblieben wären. Wir haben kein Zeugnis darüber, wie des Vaters Tod auf den Jüngling wirkte. Vielleicht kann man aus seinem Schweigen schließen, daß er mehr das Gefühl einer Befreiung als eines Verlustes gehabt hat. Ja, bei seinem pietätvollen Sinn ist es nicht ausgeschlossen, daß seine Entfremdung mit dem Vater ihn später seine selbstbiographischen Aufzeichnungen mit dem Zeitpunkt abbrechen ließ, in dem er einen gewissen Gegensatz nicht mehr hätte verschweigen können. Die seit längerer Zeit bestehende Entfremdung zwischen Vater und Sohn hätte sich in den nächsten Jahren sicher zum feindlichen Gegensatz verschärft. Die Aufgabe des theologischen Studiums hätte des Vaters äußersten Widerspruch herausgefordert, und mit dem literarischen Beruf seines Sohnes hätte er sich jedenfalls erst nach dessen großen Erfolgen einverstanden erklärt. Die schmerzvolle innere Loslösung von den Seinen war Jean Paul zwar nicht erspart geblieben, aber er brauchte wenigstens die feindliche Zuspitzung des Generationsgegensatzes nicht zu erleben.
Mochte ihm also der Tod des Vaters manchen inneren Konflikt ersparen, so war er doch von den furchtbarsten Folgen für die zurückgebliebene Familie. Mit dem Tode des Ernährers begann der zehnjährige »trojanische« Krieg mit der Armut, den Jean Paul mit einer atridenhaften Ausdauer zu bestehen hatte. Der Vater hinterließ fünf Söhne und Schulden, die allmählich aus den nicht unbeträchtlichen Einkünften der Schwarzenbacher Pfarre getilgt werden sollten. Aber diese Einkünfte hatte der Verstorbene nur drei Jahre und drei Monate bezogen. Die Schulden waren noch lange nicht bezahlt, die Familie nicht aus der größten Dürftigkeit herausgehoben.
Diese Folgen machten sich für Jean Paul selbst zunächst noch nicht bemerkbar. Nach wie vor lebte er im Hause der noch immer als wohlhabend geltenden Großeltern Kuhn in Hof, von deren Unterstützung die zurückgebliebene Familie in Schwarzenbach nun völlig abhängig war. Die Großeltern hatten Sophia Rosina besonders in ihr Herz geschlossen, und hauptsächlich die Großmutter hatte mit Unterstützungen der an den theologischen Hungerleider verheirateten Tochter niemals gekargt. Es kann nicht verwundern, daß die jüngere Tochter Christiana Maria, an den Gerichtsadvokaten und Goldarbeiter Riedel in Hof verheiratet, die einseitige Bevorzugung ihrer älteren Schwester als ungerecht empfand. Aus diesem Verhältnis sollten sich bald nach dem Tode der Großeltern die unliebsamsten Folgen ergeben. Das großväterliche Testament, das der ältesten Tochter im voraus ein Haus zugesprochen hatte, wurde von der Familie Riedel angefochten. Ein langwieriger und mit Haß geführter Erbschaftsprozeß verschlang die Werte, die der verwaisten Familie Richter den Lebensunterhalt gewähren sollten. Diese das menschliche Verhältnis der Verwandten vergiftenden Gegensätze spannen sich bald nach dem Tode des
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