Saemtliche Werke von Jean Paul
wertherisiert, siegwartisiert und nach dem täglichen schmerzlich-süßen Genuß einer für verdienstlich und heilig gehaltenen Sentimentalität getrachtet wurde.«
Am 11. Oktober 1780 verließen die beiden Freunde das Gymnasium. Wenige Tage vorher war der Großvater Kuhn gestorben, und wieder knüpfte sich ein Todesfall an einen Lebensabschnitt Jean Pauls. Es waren wohl die baldige Trennung und des Großvaters Sterben, die Jean Paul den einzigen uns erhaltenen Brief jener schwärmerischen Periode eingaben, der uns einen Blick in die Gefühlswelt der Freunde vermittelt. Den Winter über bis zur Abreise nach Leipzig verlebte der junge Mulus bei seiner Mutter in Schwarzenbach. Und hier war es, wo er im Gedenken an den entfernten Freund seinen ersten, der sentimentalen Periode opfernden Roman »Abelard und Heloise« schrieb.
Millers »Siegwart«, Hippels »Lebensläufe« und Rousseaus »Neue Heloise« haben bei diesem Frühwerk Pate gestanden. Zugleich sind aber Züge aus dem Erleben der beiden Freunde hineingeflochten. Die Natur- und Himmelsschwärmerei der Jünglinge ist in Abelard verkörpert, der die Einsamkeit sucht, um in seligem Entzücken am Busen der Natur zu ruhen. Von der Welt, in der nur der Verstand gilt und das Herz zertreten wird, zieht er sich zurück, um seinen Empfindungen zu leben. Sein Vater schickt ihn auf ein Gymnasium, damit er sich auf die Universität vorbereite. Hier durchschaut er die Lehrer bald als hohle Tröpfe, die sich von Wind nähren und das Herz verwelken lassen. In den Schülern findet er die getreuen Kopien der mangelhaften Originale. Diese Eindrücke werden auf der Universität verstärkt. Die Studenten verbringen ihre Zeit mit Nichtigkeiten, und ihr Streben ist nur auf Erlangung einer erträglichen Dienststelle gerichtet. Nur wenige gibt es, die den Drang des Geistes in sich spüren. »Mit allgewaltiger Geniekraft fallen sie über die Wissenschaften her – blicken tief ins Innerste – fliegen Adlerflug – leuchten Sonnenglanz.« In dieser Stimmung naht ihm Heloise. »Eine Sonnennacht voll Freuden, wie sie im Himmel nur sind«, erlebt er in den Armen der Geliebten. Allein auf Befehl des tyrannischen Vaters soll Heloise einen ihr verhaßten Mann heiraten. Auf dem Kirchhofe am Grabe eines armen Mädchens, das wegen des Verlustes ihres Geliebten in den Tod gegangen ist, schwören sie sich ewige Treue. Abelard bezieht die Universität, aber sie trennen sich in der Hoffnung, wenn nicht auf Erden, so im Tode vereinigt zu werden. Heloises Bräutigam muß wegen eines Duells fliehen. Abelard jauchzt bei der Nachricht. Aber bald darauf muß er vernehmen, daß der fliehende Bräutigam vor seiner Flucht die Geliebte tödlich verwundet hat. Heloise fordert Abelard auf, ihr bald in die Ewigkeit zu folgen, und stirbt. Er versucht vergeblich, sich auf ihrem Grabe durch die »Kälte des Nachtgeistes« töten zu lassen und erschießt sich.
Ein halbes Jahr später sah Jean Paul auf dieses erste erzählende Werk als auf eine verfehlte Jugendarbeit zurück. Er urteilte durchaus objektiv über den Roman, fand die Sprache des Herzens getroffen und die Naturschilderungen gelungen, vermißte aber die fehlende Verwicklung und die scharfe Charakterzeichnung und verurteilte die unwahre Darstellung der Liebesempfindung.
»Mit allgewaltiger Geniekraft fallen sie über die Wissenschaften her – blicken tief ins Innerste – fliegen Adlerflug –«, das war schon das Bild, wie es Jean Paul von dem eigenen Studententum vorschwebte. Nach dem Vorbilde des Vaters, den Traditionen der Familie und den Vorstellungen der älteren Freunde Vogel, Werner und Völkel war es selbstverständlich, daß er das Studium der Theologie ergriff. Aber Jean Paul hatte wohl schon damals nicht die Absicht, nach dem Amt eines Tertius oder Landpfarrers zu streben. Der Gedanke, Schriftsteller zu werden, stand wohl schon, ehe er die Universität bezog, in seinem Kopfe fest.
Erst seit wenigen Jahrzehnten hatte sich der Schriftstellerstand von Universität und sonstigen Staatsämtern losgelöst. Als einer der ersten hatte Lessing und nach ihm Hamann der Welt das Leben eines freien Geistes vorgelebt. Es war der Sieg der Aufklärung, daß Menschen ohne bestimmtes Amt in ihrem eigentlichen Wirkungsfeld ihr Leben ihrer Feder anvertrauten, um mit allen Kräften im Reiche des Geistes zu wirken. Nur ein solches Leben konnte Jean Paul locken, hatte er doch bereits seit langem den Schwerpunkt seines Daseins vom unmittelbaren Erleben fort
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