Saemtliche Werke von Jean Paul
das Letzte geschliffen, und die Fülle der Einfälle ist außerordentlich. Er ruhte nicht, bis ihm jeder Satz Genüge tat. »Lieber Gott!« schrieb er an Oerthel, »wie unendlich klein wären meine Anlagen ohne die Verbesserungen des Fleißes!« Auch seine späteren Bücher, die wie von selbst aus ihm herausgeflossen erscheinen, sind mit derselben unendlichen Mühe von ihm zu Papier gebracht. Aber nirgends können wir diese Qual des langsamen Gebärens so genau verfolgen als bei seinem ersten Bändchen. Er schrieb eben nie ins Ungefähr, sondern immer bewußte Kunstprosa, von ihm mühsam aufgebaut und gefügt, alle Assoziationen der gewollten Richtung zubiegend. Daher kommt das Polyphone in seine Schreibweise, das so viele Leser abschreckt und es ihm allein ermöglichte, die Fülle der Ideen zu bergen. Aus der Qual des mühsamen Suchens nach dem adäquaten Ausdruck kam ihm auch das Mißtrauen gegen den augenblicklichen Einfall. Wie sein Vater, der ein trefflicher Kanzelredner war, dennoch seine Predigten auswendig lernte, so suchte Jean Paul sich systematisch zu erarbeiten, was er dem Zufall der Eingebung nicht überlassen wollte. Wieviel pedantischer Unsinn ist über seine Sammlungen von treffenden Ausdrücken, Bildern, Synonymen usw. geschrieben worden! Er wollte diese Aufzeichnungen sicher nicht als Zettelkasten benutzen, sondern wie ein redlicher Künstler arbeitete er unausgesetzt, bloß schriftlich, an seinem Werkzeug, um es blank zu halten und zu verbessern.
Zu dem Reichtum seiner Ausdrucksweise, zu der virtuosen Behandlung der Sprache legten die »Grönländischen Prozesse« den ersten Grund. Sie waren auch der erste Versuch seiner später bis zum funkelnden Witz ausgearbeiteten Satire, die nicht nur seine ernsten Werke durchsetzte, sondern erst möglich machte.
In Hippel und Hamann sah Jean Paul seine unmittelbaren Vorbilder. Und es war wohl auch die äußere Ähnlichkeit seiner Satiren mit Hippels Buch »Über die Ehe« (z. B. daß die Vorrede an den Schluß angehängt ist), die Voß zur Annahme des Erstlingsbuches bewog. Aber hinter den beiden Ostpreußen standen doch noch andere Mächte des Geistes. Mochte Hippels Witz auch so frei schalten, daß er unbeschadet des schriftstellerischen Wertes die Tendenz der ersten Auflage seines Buches »Über die Ehe« in der zweiten ins Gegenteil verkehren konnte, so ging doch immerhin die moderne Frauenemanzipation von diesem Buche aus, und schon die romantische Frau, die mit kühnem Geist von der Welt des Mannes Besitz ergreift, wäre ohne Hippels Einfluß kaum möglich gewesen. Und Hamann vollends schlug mit der dunklen Gewalt seiner sibyllinischen Schriften die erste Bresche in das Jahrhundert der Aufklärung, und hinter seiner Satire stand der ganze Ernst eines Kassandrarufes. Hamann wie Hippel drängten aus dem 18. Jahrhundert hinaus, während Jean Paul es noch zu erfüllen trachtete. Diesseitsoptimismus und Weltbürgerstimmung erfüllten seine Aufsätze, aber nicht mehr (oder schon) als treibende Tendenz, sondern als Literatur.
»Übrigens halt’ ich von der Liebe zum Vaterland nicht viel«, schrieb er in dieser Zeit an einen Dr. Doppelmayer in Schwarzenbach, der sich an ihn gewandt hatte. Er fand, »daß sich die Liebe eines Landes wenig mit seiner Aufklärung vertrage«. Und seine Briefe an Vogel durchklingt das Leitmotiv: ». . . seitdem ich an allem zweifle.« Es ist der Geist des zugespitzten Rationalismus, der in diesen Briefstellen sein Gebiet absteckt. »Ich bin aus einem Paulus ein Saulus geworden.«
In Hof sprach es sich rasch herum, daß der junge Richter ein Buch geschrieben habe, das in allernächster Zeit herauskommen werde. Auch die Mutter hörte davon, daß ihr Sohn für sein Buch fünfzig Reichstaler erhalten haben solle. Obwohl das Honorar sechsundneunzig Reichstaler ausmachte, leugnete Jean Paul ab. Er war in einer schlimmen Lage. Einesteils hätte er zu gern aus berechtigtem Autorenstolz seiner Mutter gegenüber das von Voß erhaltene Honorar so hoch als möglich angegeben, andererseits verbot ihm berechtigter Egoismus, das volle Honorar zu nennen, da sonst die Ansprüche der Höfer Familie ihn um einen Teil des Geldes gebracht haben würden, dessen er zum Fortarbeiten dringend bedurfte. Eine Fülle von Schulden war zu bezahlen, und außerdem schien es im Interesse der künftigen Produktion dringend geboten, den Lebensstandard hier und da zu erhöhen. Jean Paul merkte es selbst am deutlichsten, daß die Enge seiner Lebenshaltung
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