Saemtliche Werke von Jean Paul
läuft er nicht Gefahr, mißverstanden zu werden, da wieder einmal eine deutsche Jugend auf männliche Gemeinschaft gestellt ist. Männliche Gemeinschaft, wie sie seit Klopstock im Hainbund und ähnlichen Bünden in Erscheinung trat, war auch die Lebensatmosphäre Jean Pauls. Wohl nie hat ein Dichter tiefere Worte über die Frau ausgesprochen als er, nie seinen Mädchengestalten größere Zartheit und vergehendere Umrisse gegeben als er. Das tiefere Erlebnis aber kam ihm von der Freundschaft, und gerade weil er der Welt der Frau sich nur mit der Peripherie seines Wesens näherte, behielt diese Welt für ihn den Schmelz der Unberührbarkeit. Seine schönsten Mädchengestalten werden von der Wirklichkeit zerbrochen und zerrinnen unter der Spannung ihres eigenen Gefühls. Gemeinschaft kam ihm nur vom Freunde. Seit hundert Jahren ist uns das Gefühl der Freundschaft fremd, und es war wohl nicht zum wenigsten die öde Nivellierung zwischen den Geschlechtern, die unsere Kultur so jämmerlich verarmen ließ. Wie bequem ist es und jedes Gefühl an der Wurzel abtötend: alle Empfindungen auf den Gegensatz der Geschlechter zurückzuführen, als wenn es keine höhere Spannung von Mensch zu Mensch gäbe als das biologische Gesetz.
Jean Paul lebte in einer männlichen Welt, die gerade deshalb voller Spannung und Empfindung war. Gerade deshalb konnte sie den Umkreis unserer auf Männlichkeit gestellten Kultur erfüllen und umfassen, ohne der geschlechtlichen Erotik als eines Empfindungsersatzes zu bedürfen. Aber wie die Welt des Mannes war auch seine Welt voller Hinneigung zu der ewig unbegreiflichen Welt der Frau, die erst durch ihre Unbegreiflichkeit ihre ganze mystische Tiefe und Schönheit erhält, und der mit vager Angleichung am allerschlechtesten gedient ist. Gerade weil Jean Paul ständig in männlichem Lebenskreise weilte, erschloß sich ihm die Natur des Weibes in ihrem zauberischen Glanz. Das ist das Geheimnis seines Verhältnisses zu den Geschlechtern: er umwarb und umspielte die Frau; aber ihr Höchstes erschloß sie ihm nicht im Besitz, vor dem er bis in sein Mannesalter zurückbebte, sondern in ihrer Unberührbarkeit. Sein Schaffen und Menschsein aber ruhte in seiner Freundschaft.
Zwischen Venzka und Töpen flogen seine und Wilhelmines Briefe hin und her. Aber die stärkere Seite seines Gefühls gehörte doch Hermann, der gerade damals unsagbar schwere Zeiten durchmachte.
Wir verließen den Unglücklichen bei Jean Pauls Flucht aus Leipzig. Damals hatte er den Koffer des Fliehenden gepackt und war ihm auch sonst behilflich gewesen. Aber noch immer stand er dem Freundschaftswerben des Mitschülers kühl gegenüber, und erst in der Töpener Zeit zeigen ihre Briefe das vertrauliche Du. Inzwischen war Hermanns Not in Leipzig auf das Äußerste gestiegen. Ein Hofer Stipendium war ihm entzogen worden, und lange bemühten sich die Brüder Otto vergeblich, ihm zu helfen. Um nur das Leben zu fristen, zog er auf die Stube zweier jüdischer Studenten; die er bei ihren Arbeiten unterstützen mußte und in deren Gesellschaft ihm nicht immer sehr wohl war. Dazu kam, daß sein Körper infolge der Entbehrungen und Überarbeitung von Kindheit an seine Widerstandsfähigkeit einzubüßen begann. Durch wochenlange Fußreisen, auf denen er bei Bauern umsonst unterkroch, suchte er sich über die Zeit der höchsten Not hinwegzubringen. Aber völlig krank und ausgehungert kehrte er von ihnen zurück.
Eine Menge wissenschaftlicher Entwürfe hielt ihn ständig im Atem. Im April 1786 schickte er seine » Epistola gratulatoria ad M. Joannem Wilelmum Link « nach Hof, und einige Wochen später folgte seine unter dem anagrammatischen Pseudonym N. H. Marne in Leipzig erschienene Schrift »Über die Anzahl der Elemente«. Ein Jahr später, als Jean Paul bereits ein halbes Jahr in Töpen weilte, kam er nach Hof zurück und wurde bei dem preußischen Rittmeister von Wessenig Hauslehrer. Es war nur eine kurze Ruhepause für den Unsteten, den es nie lange an einer Stelle hielt. Kurze Zeit darauf ging er auf die Baireuther Landesuniversität Erlangen. Hierhin schrieb ihm Jean Paul den für die Folgezeit so außerordentlich wichtigen Satz: »Ich bin des Teufels, wenn ich nicht einmal deinen ganzen Charakter in einen Roman pflanze.« Denn in der Tat sollte Hermanns Charakter nicht nur in einem Roman Jean Pauls vorkommen, sondern eine ganze Seite seines gesamten Schaffens mit ihren wichtigsten Gestalten, bis zu Leibgeber, Schoppe und Dr.
Weitere Kostenlose Bücher